Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt
Eifer dämpft.
»Was ist mit meinen Eltern?«
»Was soll mit ihnen sein?«
»Werden sie auch schon jetzt aufgetaut?«
»Ah.« Er löst seine Finger, die die ganze Zeit verschränkt waren, und ordnet die Dinge auf seinem Schreibtisch – der Block liegt parallel zur Tischkante und die Stifte im Becher sind alle zu einer Seite ausgerichtet. Er weicht meinem Blick aus. »Du solltest nicht aufgetaut werden. Aber du musst verstehen, dass deine Eltern, Nummer 41 und 40, von Bedeutung sind. Sie haben beide hoch spezialisierte Fähigkeiten, die wir nach der Landung brauchen werden. Wir benötigen ihr Wissen und ihre Hilfe bei der Entwicklung der Zentauri-Erde.«
»Das heißt also Nein.« Ich will, dass er es ausspricht.
»Genau.«
Ich schließe die Augen und atme tief durch. Ich bin so wütend – so frustriert – so stinksauer, dass das passiert ist und ich nicht das Geringste dagegen tun kann. Ich spüre die heißen, brennenden Tränen in meinen Augen, aber ich will nicht weinen, nicht vor diesem Doktor und auch sonst nie wieder.
Der Doktor verschiebt seinen großen Schreibblock noch einmal, sodass er perfekt an der Tischkante endet. Seine nervösen langen Finger halten kurz still. Es gibt auf dem Schreibtisch nichts mehr, das dort nicht hingehört. Es gibt in seinem ganzen Büro nichts, was dort nicht hingehört. Außer mir.
»Es ist nicht so schlecht hier«, sagt er. Ich schaue auf. Meine Augen sind wie verschleiert, und ich weiß, dass ich weinen werde, wenn ich mich nicht sofort zusammenreiße. »In gewisser Weise ist es besser, dass du jetzt hier bist, statt später dort. Wer weiß, wie die Zentauri-Erde wirklich ist? Vielleicht ist sie nicht einmal bewohnbar, trotz der Proben, die entnommen wurden, bevor die Godspeed auf die Reise geschickt wurde. Das ist eine Möglichkeit, die natürlich niemand in Betracht ziehen will, aber es könnte sein …« Er verstummt, als er meinen Blick bemerkt.
»Und was soll ich hier tun ?«
»Wie bitte?«
»Was soll ich tun?«, wiederhole ich hitzig. »Oder glauben Sie, dass ich nur rumsitze? Darauf warte, dass das Schiff landet, damit ich meine Eltern wiedersehe?« Ich zögere. »Gott, dann werde ich so alt sein. Älter als sie! Das ist nicht richtig!« Ich schlage mit der Faust auf den Tisch. Die Stifte purzeln in ihrem ordentlichen kleinen Becher wild durcheinander. Als er danach greifen will, um sie wieder zu sortieren, schnappe ich mir den Becher und schleudere ihn wütend auf den Doktor, der gerade noch rechtzeitig in Deckung geht.
»Niemand interessiert sich für Ihre blöden Stifte!«, schreie ich den Doktor an, der aufgesprungen ist, um sie wieder einzusammeln. »Sie sind vollkommen egal! Sehen Sie das denn nicht?«
»Ich weiß, dass das schwierig für dich …«
»Schwierig? Schwierig? Sie wissen nicht das Geringste darüber. Sie haben keine Ahnung, wie lange ich gelitten habe – und das alles für nichts! FÜR NICHTS!«
»Es gibt keinen Grund für einen Wutanfall«, sagt er ruhig und gelassen. »Das Leben auf dem Schiff wird gar nicht so schlimm sein. Der Schlüssel«, fügt er hinzu, »liegt darin, dass wir etwas finden, womit du dir die Zeit vertreiben kannst.«
Ich balle die Fäuste und zwinge mich, nicht gegen seinen Schreibtisch zu treten, nicht den Stuhl, auf dem ich sitze, in sein Gesicht zu werfen, nicht die Wände des Büros niederzureißen. »In fünfzig Jahren werde ich älter sein als meine Eltern, und Sie raten mir, etwas zu finden, womit ich mir die beschissene Zeit vertreiben kann?!«
»Ein Hobby vielleicht?«
»WAH!«, kreische ich. Ich springe auf und will alles auf den Boden fegen, was auf seinem Schreibtisch liegt. Der Doktor versucht nicht, mich aufzuhalten, sondern greift nach dem Schrank hinter sich. Er ist so merkwürdig ungerührt, dass ich zögere. Er zieht eine Schublade auf, wühlt eine Weile darin herum und holt schließlich ein kleines weißes Päckchen heraus, das mich an die Erfrischungstücher erinnert, die wir in dem China-Restaurant bekommen haben, in das mich Jason bei unserer ersten Verabredung eingeladen hat.
»Das ist ein Medipflaster«, sagt er. »Kleine Nadeln auf der Innenseite setzen ein Beruhigungsmittel direkt in deinen Körper frei. Ich will dich nicht die nächsten fünfzig Jahre betäuben, nur damit du ruhig bleibst.« Er legt das weiße Päckchen auf die Mitte des Schreibtischs und sieht mir direkt in die Augen. »Aber ich werde es tun, wenn es sein muss.«
Das Medipflaster liegt dort wie ein
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