Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt
nimmt eine Handvoll Spritzen mit der Aufschrift »Wissenschaft: Physik« und legt sechs davon in den Korb. Er überlegt kurz, dann nimmt er zwei wieder heraus und legt sie zurück zu den anderen.
»Okay, wir brauchen also kluge Leute auf dem Schiff. Was hat das mit irgendwas zu tun?«
Der Älteste hält eine Spritze »logisches Denken« hoch.
»In jeder dieser Spritzen«, sagt er und wedelt mit einer davon vor meiner Nase herum, »ist eine spezielle Verbindung von DNA und RNA. Sie dockt sich an die DNA des Embryos einer schwangeren Frau an und stellt sicher, dass das daraus entstehende Kind gewisse erstrebenswerte Merkmale besitzt.«
Ich mache den Mund auf, um etwas zu sagen, aber der Älteste lässt mich nicht zu Wort kommen. »Wenn du Ältester bist, musst du die Bedürfnisse des Schiffs analysieren. Fehlen deiner Generation Wissenschaftler? Mach ein paar neue. Brauchst du mehr Künstler? Sorg dafür, dass neue geboren werden. Du bist dafür verantwortlich, dass die Bevölkerung auf diesem Schiff nicht nur überlebt, sondern gedeiht .«
Mein Magen rumort. Ich bin nicht sicher, ob ich dem Ältesten zustimmen soll oder nicht – natürlich will auch ich kein Schiff voller inzuchtgeschädigter Idioten, aber mir gefällt es nicht, dass der Älteste glaubt, er könnte Begabungen züchten.
Er legt die letzte Spritze in den Korb und schaut mit einem sehr ernsten Gesichtsausdruck zu mir auf. »Ich kann es nicht oft genug wiederholen. Ich glaube an dich. Ich denke, du wirst ein guter Anführer. Eines Tages.«
Ich würde gern lächeln und ihm danken – ich kann mich nicht erinnern, schon einmal ein solches Kompliment von ihm bekommen zu haben –, aber ich frage mich auch, ob der Älteste so sicher ist, dass ich ein brauchbarer Regent sein werde, weil ich vor meiner Geburt eine Spritze mit irgendeinem »Anführer«-Zeugs bekommen habe.
Und wenn ja, frage ich mich, ob genug davon drin war.
43
Amy
Ich liege zusammengerollt auf dem Bett, habe die Beine bis zum Kinn angezogen, und meine Arme sind um meine Knie geschlungen. Zwischen meinen Armen und meinen Knien klemmt mein Teddybär Amber. Seine Nase und seine Knopfaugen bohren sich mir in die Rippen, aber das ist mir egal.
Harley reicht mir ein Glas Wasser.
»Es tut mir leid«, sagt er. Unter dem linken Auge hat er eine hässliche dunkel-blaurote Schwellung von der Größe meines kleinen Fingers.
Als er meine Hand berührt, zucke ich zusammen. Ich würde lieber weinen, schreien oder mich verstecken, aber alles, was ich tun kann, ist zusammenzuzucken, weil mir ein Mann so nah gekommen ist, dass er mich berühren konnte.
»Es tut mir leid«, sagt Harley wieder. Er weicht zurück und setzt sich auf den Stuhl am Tisch, so weit weg von mir wie möglich. Seine Hände umklammern die Armlehnen, damit er mich bloß nicht noch einmal berührt.
Ich hebe den Kopf. »Nein … ich meine … Danke. Du hast mich gerettet.«
Harley schüttelt den Kopf. »Ich habe dich alleingelassen. Das war idiotisch. Ich wusste, dass die Paarungszeit in vollem Gang ist. Ich habe gesehen, dass es seit gestern viel schlimmer geworden ist. Und ich habe dich alleingelassen.«
»Warum waren die so?«, frage ich. Ich sehe immer noch die glasigen Blicke des Paars und wie sich die beiden trotz meiner Schreie abgewendet haben. Ich drücke Amber fester an mich, und es tut beinahe gut, wie sich seine harten Knopfaugen in meine Rippen bohren. Ich frage mich, ob die blauen Flecke, die ich davon bekommen werde, wohl zu denen an meinen Handgelenken passen werden.
Harley zuckt mit den Schultern. »So ist die Paarungszeit eben. War es auf der Sol-Erde denn anders? Menschen sind Tiere. Egal, wie zivilisiert wir sind, wenn die Paarungszeit kommt, paaren wir uns.«
»Aber du nicht. Und Junior auch nicht. Es führen sich nicht alle auf, als hätte ihnen die Gier nach Sex den Verstand geraubt.«
Harley runzelt die Stirn und dabei bildet sich ein fleischiger Wulst zwischen seinen Augen. Das erinnert mich an die tief liegenden Augen des Manns, der auf mir lag und mich auf den Boden gedrückt und seine Hüften gegen meine gepresst hat. Ich vergrabe mein Gesicht in Ambers Plüschfell und atme seinen muffigen Geruch ein. Meine Arme umklammern meine Knie noch fester.
Harley merkt nicht, dass ich zittere. »Ein Haufen Leute auf der Station sind tatsächlich ganz normal. Manche nutzen die Paarungszeit, um sich … gehen zu lassen … aber die meisten Patienten auf der Station sind nicht
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