Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt
die Worte hallen in meinem Kopf herum und ergeben keinen Sinn. Der Schreibblock auf dem Tisch des Doktors hat so schöne glatte Kanten. Ich fahre mit dem Finger darüber. Sie sind so scharf, dass ich mich schneide. Eine dünne rote Linie sprießt auf meiner Fingerspitze. Oh, der Doktor hat auf der anderen Seite seines Schreibtischs noch einen Block. Das ist hübsch. Symmetrisch. Ich mag Symmetrie. Sym-me-trie . Das ist ein schönes Wort. Ich sage es laut.
»Sym-me-trie.« Ja. Das klingt gut.
Junior sieht mich an, als wäre ich verrückt, aber schließlich ist er es, der nur zum Spaß in einer psychiatrischen Abteilung herumhängt.
Die Wände sind in einem hübschen Blau gestrichen. Wirklich nett. Wie ein bewölkter Himmel.
Etwas rasselt. Ich sehe hin. Der Doktor hat eine braune Pillendose auf den Tisch gestellt. Ich neige meinen Kopf und betrachte sie. Die Pillen liegen unordentlich auf dem Boden der Dose. Wie kleine Bonbons.
Der Doktor und Junior reden wieder.
»Du hast recht«, sagt der Doktor. »Ihr Zustand ist wirklich stark ausgeprägt. Hat sie in letzter Zeit einen Schock erlitten? Ein Trauma? Erhöhten Puls? Manchmal verstärkt das die Wirkung.«
»Die Wirkung wovon?«, fragt Junior laut.
Der Doktor macht ein komisches Gesicht.
»Des Schiffs. Du musst verstehen, dass sie sich nach ihrem Leben auf der Sol-Erde komplett umstellen muss. Wir haben andere Medikamente, anderes Essen und nehmen mehr Nahrungsergänzer und Vitamine zu uns.«
»Vitamine«, sagt Junior und stürzt sich förmlich auf das Wort. »Wie die, die der Älteste dem Wasser beimischt?«
»Jaaa«, sagt der Doktor und zieht das Wort auf lustige Weise in die Länge.
Ich kichere.
Junior sieht mich verblüfft an. Da kichere ich wieder.
»Und Hormone. Der Älteste mischt Hormone ins Wasser. Für die Fortpflanzung.«
Der Doktor schüttelt den Kopf. »Die würden sie nicht beeinflussen. Es dauert eine Weile, bis der Hormonspiegel im Körper steigt. Bei ihr würden sich die Auswirkungen frühestens in ein paar Wochen zeigen.«
»Sie hat in letzter Zeit sehr viel Wasser getrunken.« Junior wirft einen Blick auf meine Handgelenke. »Und vielleicht war da auch ein Trauma, wie Sie eben erwähnt haben.«
Ich blinzele und stelle fest, dass Zeit vergangen ist. Einen Moment lang frage ich mich, was in dieser Zeit geschehen ist, aber eigentlich ist das egal, denn es hat sich nichts verändert. Ich bin immer noch hier und die beiden reden immer noch.
Ich blinzele. Ich habe wieder den Faden verloren.
Blinzeln.
Ich glaube wirklich, es ist einfacher, wenn ich mich treiben lasse. Es ist zu schwierig, dabei zuzuhören, was Junior und der Doktor bereden. Die beiden sind echt anstrengend. Worüber regen die sich so auf?
Alles ist prima. Mir geht’s gut.
Junior schnippt vor meinem Gesicht mit den Fingern.
»Amy, Doc meint, dass du Medizin brauchst«, sagt er laut.
»Sie ist geistig weggetreten, aber nicht taub«, mahnt der Doktor.
Junior nimmt die Pillendose vom Schreibtisch des Doktors. »Dies sind Psycho-Pillen. Ich gebe dir eine davon, okay? Dann sehen wir, ob sie dir hilft.«
Ich öffne den Mund. Die Pille liegt auf meiner Zunge und ein bitterer Geschmack breitet sich aus.
»Schluck sie«, erinnert mich der Doktor.
Ich schlucke.
»Erinnerst du dich an die Nacht, in der wir uns zum ersten Mal begegnet sind?«, fragt Junior. »Du hast in dieser Kryo-Flüssigkeit herumgestrampelt und die ganze Zeit gegen uns gekämpft. Ich musste dich festhalten, damit Doc dir die Augentropfen geben konnte, die verhindert haben, dass du blind wirst. Und jetzt sitzt du einfach da und schluckst die Pille wie ein braves Hündchen. Findest du das nicht auch traurig?«
»Nein«, sage ich. Wieso soll ich traurig sein?
»Wie lange wird es dauern, bis die Pille wirkt?«, fragt Junior den Doktor.
»Ich bin nicht sicher«, antwortet der. »Wie ich bereits sagte, ist ihr Zustand wesentlich extremer als bei vielen anderen Versorgern. Falls das Medikament überhaupt wirkt, sollte in ein paar Stunden eine Besserung zu sehen sein.«
»Falls es wirkt?«, wiederholt Junior betroffen.
Er redet weiter und weiter und ich drifte davon.
56
Junior
Ich habe sie über Nacht bei Doc gelassen.
Das ist mir wirklich schwergefallen. Aber Doc wollte ihr weitere Medis intravenös verabreichen und die haben sie umgehauen. Sie schläft jetzt, und es ergibt keinen Sinn, ihr dabei zuzusehen. Ich wandere fast die ganze Nacht herum, aber eigentlich schiebe ich nur das Unausweichliche vor
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