Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt
Körper reagiert schneller als mein Gehirn, denn mein Magen krampft sich zusammen, und mir wird schlecht. Ich stolpere – wieso wollen meine Füße mir nicht gehorchen? Wieso fällt mir das Atmen so schwer, wieso rast mein Herz?
Wieso mag ich den Ältesten nicht?
Ich schüttele den Kopf, damit er wieder klar wird. Natürlich mag ich den Ältesten. Wieso auch nicht? Er ist mein Anführer.
Ein lautes Geräusch lässt mich zusammenfahren. Das Geräusch kam von Junior.
Ich habe den Anfang ihres Gesprächs verpasst. Ich versuche, mich zu konzentrieren. Es kommt mir wichtig vor, dass ich verstehe, was sie sagen. Ich habe das Gefühl, dass ich es verstehen sollte .
»Was haben Sie gemacht?«, schreit Junior.
Wieso schreit er so?
»Nichts, was du nicht auch tun wirst.« Die Stimme des Ältesten faucht zurück.
»Ich werde nie so sein wie Sie! Nie im Leben! Das alles war eine Lüge!« Mein Blick folgt seinem Arm nach oben zu den Sternen. Sie sind so hübsch. So funkelig. Und glitzerig. Nicht wie die Sterne zu Hause.
Mein Herz setzt einen Takt aus und einen Moment bleibt mir die Luft weg. Zu Hause? Dies ist mein Zuhause. Wieso an andere Sterne denken? Ich habe diese Sterne. Diese Sterne sind genug. Sie sind hübsch. Funkelig. Glitzerig.
»Was treiben Sie für ein Spiel mit ihnen?«, schreit Junior, und mir wird plötzlich klar, dass ich ganz vergessen habe, dass ich eigentlich zuhören wollte.
Ich sollte zuhören.
Aber … warum? Das hat doch nichts mit mir zu tun.
Hat es doch , flüstert eine Stimme in meinem Kopf.
Wieso? , frage ich sie.
Aber die Stimme antwortet mir nicht.
»Du Dummkopf«, sagt der Älteste und beugt sich dicht zu Junior. »Sie brauchen doch Hoffnung, oder etwa nicht? Sie müssen sich die hübschen Glitzersternchen ansehen können.«
Ich schaue auf zu den hübschen Glitzersternchen. Sie sind wirklich hübsch. Und glitzerig.
Ich blinzele. Wo sind die Geräusche hin?
Junior und der Älteste starren mich an.
Sollte ich etwas zu ihnen sagen? Sie sehen mich an, als warteten sie darauf, dass ich etwas sage.
Aber was soll ich denn sagen?
»Amy?«, fragt Junior leise.
Der Älteste grinst mich an. Ich kann seine Zähne sehen. Wieder krampft sich mein Magen zusammen. Der Älteste streicht mir über die Wange. Als er die Hand ausstreckt, möchte ich plötzlich am liebsten zurückzucken. Aber das ist albern – wieso sollte ich das tun? Ich stehe nur da, auch als er beide Hände um mein Gesicht legt und mich dicht an sich zieht.
»Nehmen Sie die Hände von ihr«, knurrt Junior.
»Siehst du es denn nicht?«, fragt der Älteste. Ich denke, dass er mit Junior spricht und nicht mit mir, obwohl ich diejenige bin, die er dabei ansieht. »Die Leute haben einfache Bedürfnisse, einfache Wünsche. Gib ihnen ein paar glitzernde Lichter und sie nennen es Hoffnung. Gib ihnen Hoffnung und sie tun alles. Sie arbeiten, auch wenn sie nicht wollen. Sie vermehren sich, wenn das Schiff es braucht. Und dabei lächeln sie auch noch die ganze Zeit.«
Auch der Älteste lächelt wieder und seine Lippen verziehen sich dabei nach oben. Seine Augen starren in meine und sie sind so warm und braun und tröstlich.
54
Junior
Etwas stimmt nicht. Mit Amy stimmt etwas nicht.
»Was ist los mit dir?«, frage ich sie.
Sie blinzelt. »Nichts.«
Ich muss sie zu Doc bringen. Ich weiß zwar nicht, ob ich Doc trauen kann, aber ich weiß sonst niemanden, der helfen könnte. Also, dem Ältesten kann ich nicht trauen, das ist so sicher wie nur was.
Ich schaffe Amy vom Regentendeck und fort vom Ältesten, so schnell ich kann. Die Mischung aus Furcht und Begeisterung, die sie bei unserer ersten Fahrt in der Schwerkraftröhre gezeigt hat, ist gelindem Desinteresse gewichen. Sie folgt mir durch den Krankenhausgarten wie ein Schoßhündchen. Dabei starrt sie unverwandt geradeaus, nicht auf die Blumen, nicht auf die Statue des Seuchen-Ältesten, einfach nur geradeaus. Ich frage mich, ob sie überhaupt etwas wahrnimmt.
In der Eingangshalle hält sich fast ein Dutzend Leute auf. Einige von ihnen sind alt, die anderen ihre jüngeren Angehörigen, Söhne und Töchter, die ihre Mütter und Väter gebracht haben.
»Sie ist verwirrt«, sagt ein Mann zur Schwester, die am Empfang sitzt. »Sie ist zu alt, um die Schwerkraftröhre zu benutzen, aber ich habe ihr von der Versammlung auf dem Regentendeck erzählt. Sie versteht nichts mehr. Sie ist total durcheinander.«
»Bin ich gar nicht«, widerspricht die alte Frau mit brüchiger Stimme.
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