Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt
den Flur entlang in ihr Zimmer und befehle ihr, es nicht zu verlassen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass sie gehorchen wird.
Nach einer Weile finde ich Harley, der auf der anderen Seite des Teichs sitzt und Steine ins Wasser wirft.
»Was hat der Älteste dir zugeflüstert?«, frage ich ihn.
Er schaut nicht auf. »Das sag ich dir nicht«, faucht er mich an.
Ich habe keine Zeit für seine miese Laune. »Mit Amy stimmt etwas nicht.«
Harleys Kopf fährt hoch. »Was hat sie?«
»Sie … sie benimmt sich wie die Versorger.«
Harley starrt wieder in den Teich. »Oh. Vielleicht ist es auch besser so.«
»Was meinst du damit?«
»Die anderen hat es nicht gestört, dass wir nicht landen, ist dir das nicht aufgefallen? Es sind nur wir Verrückten, die sich darüber aufregen.«
Natürlich ist es mir aufgefallen. Nur Harley, der echte Sterne gesehen hat, hat protestiert, aber auch die anderen Bewohner der Station waren nicht glücklich über diese neue Entwicklung.
»Das war doch zu erwarten«, sage ich. »Es ist typisch, dass es nur uns etwas ausmacht. Deswegen sind wir doch auf der Station, oder? Weil wir keine Anweisungen befolgen und keine Führung akzeptieren. Deswegen nehmen wir die Psycho-Pillen.« Aber noch während ich das sage, muss ich an das Paar auf dem Rasen vor dem Archiv denken, das keine Liebe und offenbar auch keine Sorgen kannte.
»Vielleicht ist Amy so glücklicher«, sagt Harley. »Ich schätze, ich wäre glücklicher, wenn ich nicht ständig darüber nachdenken würde, wie ich von diesem Schiff wegkomme.«
Ich würde ihm gern sagen, dass er sich keine Sorgen machen soll, weil wir eines Tages landen werden, aber ich weiß, dass es sinnlos ist, ihm falsche Hoffnungen zu machen.
»Aber Amy war doch anfangs nicht so. Sie war wie wir. Und jetzt ist sie wie die Bauern.«
Harley zuckt mit den Schultern. »Na und? Das bedeutet, dass sie normal ist. Schön für sie.«
»Aber ich habe sie vorher viel lieber gemocht«, sage ich mehr zu mir selbst als zu Harley.
Er steht auf und steuert den Pfad an. »Ich gehe trotzdem jetzt aufs Kryo-Deck und halte Wache.«
Ich sehe ihm hinterher. Seine Worte haben mich getroffen. Ich verbringe so viel Zeit auf der Station oder allein mit dem Ältesten, dass ich manchmal vergesse, dass die meisten Leute auf dem Schiff wirklich ruhig und gelassen sind – nicht verrückt. Sie lassen sich von Dingen wie falschen Sternen oder einer verspäteten Landung nicht aus der Ruhe bringen. Sie sind glücklich.
Wäre Amy wirklich glücklicher, wenn sie so weggetreten bliebe?
Wäre ich glücklicher, wenn ich nicht mit der Vorstellung leben müsste, dass ich mein ganzes Leben eingesperrt auf einem Schiff verbringen werde?
Es spielt keine Rolle. Ich weiß, wenn Amy die Wahl hätte, würde sie nie diese dumpfe Ignoranz wählen, auch wenn sie sie scheinbar glücklich macht. Etwas – jemand – hat sie in diesen Zustand gebracht, und ich werde herausfinden, wer das war.
55
Amy
Ich sitze in meinem Zimmer.
Die Tür geht auf.
»Was machst du?«, fragt Junior.
»Ich sitze in meinem Zimmer«, sage ich.
»Was siehst du dir an?«
»Die Wand.«
»Wieso siehst du die Wand an?«
Junior stellt so viele Fragen.
Junior geht zu mir. Er nimmt meine Hand. Seine Finger wandern über meine blauen Flecke.
»Komm mit«, sagt Junior. Ich stehe auf. Er geht. Ich folge.
Wir gehen, bis wir stehen bleiben.
Junior drückt einen Knopf. Die Tür geht auf. Ich folge ihm hinein. Er führt mich zu einem Stuhl. Ich setze mich hin.
»Amy«, sagt eine tiefe Stimme. Ich schaue auf und sehe den Doktor. Wir sind in seinem Büro. »Was gibt es für ein Problem?«
Ich blinzele. »Kein Problem. Alles in Ordnung.«
»Es ist nicht alles in Ordnung!«, brüllt Junior.
Ich sehe ihn an. »Alles in Ordnung.«
Der Stuhl, auf dem ich sitze, ist blau. Er ist aus hartem Plastik. Der Schreibtisch ist interessant. Alles ist so schön aufgeräumt. Die Stifte im Becher zeigen alle in eine Richtung.
»Was ist mit dir los?«, schreit Junior.
Ich zucke zusammen, denn ich hatte vergessen, dass er da ist.
Junior knurrt wie ein Hund. Das ist witzig und bringt mich zum Lächeln.
»Ihr fehlt nichts, Junior«, sagt der Doktor. »Ich denke, du hast dich zu sehr an den Umgang mit unseren Psychiatrie-Patienten gewöhnt. Vielleicht wäre es gut, wenn du mehr Zeit mit normalen Leuten verbringst. Ich rate dir …«
Der Doktor redet immer noch. Ich weiß es, weil sich sein Mund bewegt und Geräusche herauskommen, aber
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