Godspeed Bd. 2 - Die Suche
dass seine Clique nach dem Tod von Kayleigh auseinandergebrochen ist. Ich nehme an, dass Victria, die das einzige weitere Mädchen dieser Gruppe war, mehr verloren hat als alle anderen – ausgenommen natürlich Harley. Aber ich kann sie mir vorstellen, die Schriftstellerin, die Bücher liebt und die meiste Zeit im Archiv verbracht hat. Wo Orion war.
Sie muss mich hassen. Erst habe ich ihr Junior und Harley genommen, die letzten beiden Freunde ihrer Kindheit. Und dann hat sie wegen mir auch noch Orion verloren.
Irgendwie ist mir nie in den Sinn gekommen, dass irgendjemand Orion vermissen könnte. Ich sehe ihn nur so vor mir, wie ich ihn kurz vor dem Einfrieren erlebt habe. Als ich ihn kennengelernt habe, kam er mir zwar nett und freundlich vor, aber ich kann mich jetzt nur noch an seinen irren Gesichtsausdruck erinnern, als er Junior anschrie, meine Eltern und die anderen Eingefrorenen sterben zu lassen. Victria hat das natürlich nicht miterlebt. Sie sieht nur ihren Freund, den Archivar, eingefroren und mit schmerzverzerrtem Gesicht.
Und an einem Tag wie diesem, an dem Junior das ganze Schiff unter Arrest stellt und sie genauso viel Angst haben muss wie wir alle – an einem solchen Tag ignoriert sie den Befehl, in ihr Zimmer zu gehen. Stattdessen geht sie zu Orion.
Da wird mir klar, dass sie Juniors Befehl nicht verweigert hat. Er hat ihr gesagt, dass sie nach Hause gehen soll. Und manchmal ist das Zuhause eben eine Person, zu der man geht.
Ich kehre in den Kryo-Bereich zurück. Victria hat mir unwissentlich die Antwort geliefert; ich habe endlich verstanden, was Orion gemeint hat. Er hat gesagt, ich soll nach Hause gehen. Und das habe ich getan, sogar bevor ich wusste, wie es gemeint war.
Ich lege die Hand auf die Verriegelung von Box Nummer 42. Es ist die Kammer, in der ich eigentlich liegen müsste. Sie ist das einzige Zuhause, das ich verlassen habe.
Ich öffne die Tür.
Obwohl ich jeden Morgen mit meinen Eltern rede, bringt mich der Geruch der Gefrierflüssigkeit in meiner Kammer zum Würgen. Ich kann nichts dagegen tun – mein Körper erinnert sich daran, wie es sich anfühlte, in der widerlich süß schmeckenden Flüssigkeit zu ertrinken. Erst kann ich nicht atmen und dann atme ich zu tief ein und mit jedem Atemzug erwische ich diesen Geruch und er bringt mich fast um.
Ich erinnere mich, wie mir die Flüssigkeit die Nase verätzt hat und wie ich nur noch die Gefrierflüssigkeit gesehen habe.
Vom Glassarg in der Box fehlt der Deckel – er ist zerbrochen, als Doc und Junior ihn in ihrer Hast fallen ließen, mich vor dem Ertrinken zu retten.
Ich erlebe das jetzt alles noch einmal. Ich weiß noch, dass ich Schmerzen hatte, aber im Laufe der Zeit habe ich vergessen, wie sehr es wehgetan hat. Ich kann mich noch gut an Juniors tiefe beruhigende Stimme erinnern. Ich hatte solche Angst und war so desorientiert und seine Stimme hat mich aus dem Nebel des Grauens herausgeholt.
Ich zwinge mich, nicht länger darüber nachzudenken und konzentriere mich stattdessen auf die Box, in der ich gelegen habe. Das Glas fühlt sich kühl an, und ich staune, wie schmal dieser gläserne Sarg ist, wo sich meine Arme und Beine gegen das Glas gepresst haben, als ich versucht habe, mich daraus zu befreien.
Meine Hände erstarren.
Dort – genau an der Stelle, wo sich mein Herz befinden würde, wenn ich noch in der Box liegen würde – ist ein zusammengefaltetes Stück Papier hinterlassen worden.
Mit zitternden Händen falte ich es auseinander.
Militärangehörige an Bord der Godspeed
1.
Katarzyna Bergé
4.
Lee Hart
12.
Mark Dixon
15.
Frederick Krascinsky
19.
Brady MacPherson
22.
Petr Plangariz
26.
Theo Kennedy
29.
Thomas Collins
30.
Ximena Roge
33.
Alastair Potter
34.
Aigus Wu
38.
Jeremy Doyle
39.
Mariella Davis
41.
Robert Martin
46.
Grace Spivey
48.
Dylan Farley
52.
Iñes Gomez
58.
Aislinn Keenan
63.
Emma Bledsoe
67.
Jagdish Iyer
69.
Yuko Saitou
72.
Huang Sun
78.
Chibueze Kopano
81.
Mary Douglass
94.
Naoko Suzuki
99.
Juliana Robertson
100.
William Robertson
29
Junior
Nachdem ich Doc daran erinnert habe, nach Lil zu sehen, bevor er Stevys Leiche wegbringt, helfe ich den Technikern beim Patrouillieren der Straßen. Im Vorbeigehen sehe ich hinter den Fenstern Gesichter, die mich beobachten. Ein paar der Leute sehen verunsichert aus, besorgt und ängstlich, aber der überwiegende Teil starrt feindselig
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