Godspeed | Die Ankunft
drei von ihnen –, hasten von einem zum anderen, um nachzusehen, ob jemand überlebt hat. Etliche meiner Leute sind so entsetzt über all die Toten, dass sie schreiend zu den Häusern zurückrennen. Ein paar Militärangehörige versuchen, alle in sicherer Entfernung vom Shuttle zusammenzuhalten. Das Gas ist verbraucht und es bläst nur noch Sauerstoff durch die Öffnungen. Alles, was noch wahrnehmbar ist, ist ein süßlicher Geruch.
Neben mir regt sich Chris; ich habe ihn nicht kommen sehen. Er sieht geschockt aus und ringt um Worte, während er auf Amy hinabsieht und die ganzen Toten fast nicht zur Kenntnis nimmt.
Auch ich beobachte sie; aber auch das Chaos, das uns umgibt. Sie starrt blicklos ins Leere. Direkt auf ihre Mutter.
Ich erkenne den Augenblick sofort, in dem die Wirkung der Droge nachlässt, denn ich kann sehen, wie sich der Ausdruck ihrer Augen von abwesender Leere in blankes Entsetzen verwandelt, als sie den Körper ihrer toten Mutter wahrnimmt. Sie rollt sich zusammen und stößt einen keuchenden, halb erstickten Schluchzer aus, bevor sie sich an ihren Vater klammert und zu weinen beginnt. Ein Teil von mir ist überglücklich – die Droge hat sie nicht getötet, ihr Gehirn nicht dauerhaft geschädigt –, aber ein anderer Teil von mir würde ihr nur zu gern den Schmerz über den Tod ihrer Mutter ersparen.
»Wir sind hier zu ungeschützt«, sagt Chris und schaut prüfend nach oben. Der blaue Himmel hat etwas Bedrohliches an sich, als könnten sich jeden Moment die Pteros oder die Aliens auf uns stürzen. Wir müssen von hier verschwinden.
»Zurück in die Häuser?«, frage ich Chris. Mein Blick huscht zu Colonel Martin – er sollte jetzt die Befehle geben –, aber er hockt neben seiner Frau und schluchzt haltlos. Ich staune selbst, wie kalt und emotionslos ich ihn beobachte, und frage mich, was mit meinem Mitgefühl geschehen ist.
Chris runzelt nachdenklich die Stirn.
Ich beantworte meine eigene Frage. »Da wäre es nicht sicher«, sage ich. »Die Aliens oder was es sonst ist, das es auf uns abgesehen hat, haben schon das Shuttle in die Luft gejagt. Sie wollen uns alle töten und wissen garantiert, wo die Häuser sind. Sie könnten dort schon auf uns lauern.«
»Wir haben keine andere Wahl«, erwidert Chris ernst. Er hat recht. Wohin sollen wir sonst gehen? In den Wald, wo uns die Blumen betäuben und die Pteros über uns kreisen? Oder sollen wir hier auf dem freien Feld bleiben, auf dem gerade fünfhundert von uns gestorben sind? Die Häuser sind zwar nichts Besonderes, aber sie sind der einzige sichere Ort, den wir haben, und ihre Steinmauern bieten uns vielleicht einen gewissen Schutz.
Es bedeutet zwar, dass wir wieder von Wänden umgeben sein werden, aber welche andere Chance haben wir schon?
Ich laufe zurück zum Kom-Zentrum und hole das Megafon. Die Leute haben sich bereits weit verstreut, einige sind in ihrer Panik in den Wald gelaufen, andere
rennen
einfach, und ich hoffe, dass meine Worte alle erreichen.
»Hört zu! Geht zurück zu den Häusern! Bleibt nicht im Freien! Sucht Zuflucht in den Häusern!«
Durch das große Glasfenster kann ich beobachten, wie die Menge kehrtmacht und den Weg einschlägt, auf dem wir gekommen sind. Auch die Militärs machen sich nützlich. Sie führen die Leute zusammen und schicken sie zurück in die relative Sicherheit der Steinbauten.
Chris versucht, mit Colonel Martin zu sprechen, aber keines seiner Worte vermag seine Trauer zu durchdringen.
»Amy«, sage ich, »wir müssen gehen.« Ich greife nach ihrem Ellbogen, aber ihr Arm entgleitet meinem Griff wie Wasser, das durch ein Sieb läuft.
Ich greife wieder zu, diesmal energischer, und zerre sie auf die Füße. Sie taumelt, aber ich lasse sie nicht los. »Wir können nichts mehr tun!«, schreie ich sie an, in der Hoffnung, dass sie meine Worte trotz ihrer Verzweiflung wahrnimmt. »Wir müssen gehen.«
Auch Colonel Martin steht auf. Wir schaffen es halbwegs über die Anlage, bis Amy plötzlich aufschluchzt und kehrtmachen will. »Wir können Mom nicht zurücklassen!«, ruft sie aufgewühlt und sieht ihren Vater flehentlich an. »Wir können sie doch nicht einfach liegen lassen!«
Chris legt den Arm um sie, um zu verhindern, dass sie zum Auto-Shuttle zurückrennt. »Wir müssen«, sagt er und setzt seine ganze Kraft ein, um sie festzuhalten.
»Wir können sie nicht zurücklassen!« Sie streckt die Arme sehnsüchtig nach ihrer Mutter aus.
»Amy.« Colonel Martins Stimme klingt gebrochen.
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