Godspeed | Die Ankunft
»Wir müssen gehen.«
Sie sinkt in sich zusammen, und ihre Gegenwehr endet so abrupt, dass Chris unter ihrem Gewicht schwankt.
»Folgt mir!«, rufe ich. Es bricht mir das Herz, wie schlaff die Trauer Amys Körper gemacht hat. Wir überqueren die Wiese nach der ersten Gruppe, die schon zu den Häusern zurückgelaufen ist. Schon bald rennen auch wir. Amy stolpert ein paar Mal, weil sie so sehr weint, dass sie Wurzeln und Steine nicht sieht.
Im ersten Haus angekommen, dem Haus, das Amy mit ihren Eltern bewohnt, lässt sich Amy in einen der Klappstühle fallen, die die Erdgeborenen mitgebracht haben, und weint leise vor sich hin. Colonel Martin sieht Chris und mich an. Seine Wangen sind eingefallen und er hat dunkle Schatten unter seinen geröteten Augen. Aber er hat seine Trauer in Kampfbereitschaft umgewandelt; in diesem Moment sieht er gefährlicher und tödlicher aus, als ich es je bei ihm gesehen habe.
»Ich schicke einen Trupp los, der die Gegend nach Leuten absuchen soll, die sich in der Panik verirrt haben – und der außerdem alle Aliens fangen wird, deren sie habhaft werden können.« Er starrt Chris mit wildem Blick an. »Kannst du mir
irgendwas
darüber sagen, was uns angegriffen hat, irgendwas, das uns hilft, sie aufzuspüren und jeden einzelnen von ihnen zu töten?«
Chris schüttelt wortlos den Kopf.
Ich runzle die Stirn und frage mich, wieso Colonel Martin ausgerechnet Chris für den Alien-Experten hält.
»Gibt es irgendwas, das Sie uns vorenthalten?«, frage ich. Jetzt ist nicht mehr die Zeit für Geheimnisse. Wenn es irgendwelche nützlichen Informationen gibt …
»Du weißt, was ich weiß«, antwortet Colonel Martin. »Hilfe von der Erde ist unterwegs. Wir müssen nur noch ein paar Tage überleben, höchstens eine Woche.«
Ich schnaube verächtlich. »Ach ja? Nun, die haben an einem einzigen Morgen ein Drittel von uns erledigt. Da ist eine ganze Woche bestimmt kein Problem.«
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51 Amy
Ich versuche, interessiert auszusehen.
Ich versuche zuzuhören.
Ich
sollte
zuhören.
Ich war bereit, mich von meinen Eltern zu verabschieden. Ich
habe
mich von Mom verabschiedet. Und als ich es tat, bin ich davon ausgegangen, dass ich sie nie wiedersehen würde. Sie würde auf die Raumstation fliegen und von dort aus zurück zur Erde. Es war ein Abschied für immer.
Aber es gibt da einen Unterschied, nicht wahr? Zwischen einem Abschied und dem Tod.
Dad, Chris und Junior streiten über die Waffe auf der Raumstation, diese angebliche Wunderwaffe, die die Aliens auslöschen und uns alle retten soll. Junior und Chris wollen sie nicht einsetzen. Sie sagen, dass wir nicht wissen, worum es sich dabei handelt und welchen Schaden sie anrichtet. Wenn sie Aliens tötet, könnte sie uns dann nicht auch umbringen?
Ich glaube, solche Bedenken hat Dad nicht mehr. Die weiteren Opfer sind ihm egal, seit Mom eines von ihnen geworden ist.
Irgendwann erwähnt Junior unsere Vermutung, dass es auf der
Godspeed
etwas geben muss, einen Hinweis darauf, was die Aliens sind und wie wir sie besiegen können.
»Ich brauche keine verdammten Hinweise«, fährt Dad ihn an. »Es ist mir egal, was die Aliens sind. Alles, was ich brauche, ist eine Kanone, die groß genug ist, um sie alle auszulöschen. Und die befindet sich auf der Raumstation.«
»Sie wollen wirklich deren gesamte Population vernichten?«, fragt Chris kleinlaut.
»Die würden dasselbe mit uns machen.«
Junior versucht, mich in die Unterhaltung einzubeziehen. Wahrscheinlich hofft er, dass ich Dad zur Vernunft bringe.
Aber ich starre nur auf den Boden.
»Es tut mir so leid«, sagt Chris, nachdem Dad ihn und Junior entlassen hat.
Ich schaue einfach durch ihn hindurch.
Es tut ihm leid? Das sind nur Worte.
Junior benutzt keine Worte. Er nimmt meine Hand und zieht mich daran auf die Füße. Er hört nicht auf zu ziehen und ich wanke hinter ihm her. An der Tür bleibt er stehen.
»Ich dachte, ich würde dich verlieren«, sagt er leise und lässt meine Hand nicht los.
Wie ich meine Mutter verloren habe.
»Amy«, sagt er und wartet, bis ich ihm in die Augen schaue. »Ich kann dich nicht verlieren. Das könnte ich nicht ertragen …«
Aber der Tod funktioniert so nicht. Es ist ihm egal, ob dich jemand liebt, dich nicht gehen lassen will. Er nimmt sich einfach, wen er will. Er nimmt, bis man schließlich nichts mehr hat.
Junior scheint zu merken, dass nichts, was er sagt, die Dunkelheit durchdringen kann, die sich über mich gelegt hat. Er
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