Godspeed | Die Ankunft
das besorgte Gemurmel verstummt nicht ganz. Colonel Martin schaltet das Funkgerät an seiner Schulter ein, gibt seinen Untergebenen irgendwelche Anweisungen und kehrt dann zurück ins Kom-Zentrum. Ich sehe zu, wie er diverse Schalter und Hebel betätigt. Draußen bebt der Boden, und die Leute fangen an, in panischer Angst zu schreien, weil sie eine erneute Explosion befürchten. Amy und ihre Mutter hasten zum Fenster und dafür lässt Amy zum ersten Mal meine Hand los.
Draußen bewegt sich das Rollfeld. Es öffnet sich wie eine hydraulisch betriebene Falltür. Von unten dringt ein knarrendes Geräusch herauf. Ich sehe mit großen Augen und offenem Mund zu, wie ein gigantisches Shuttle aus dem Boden aufsteigt. Es sieht aus wie ein übergroßer Kampfjet mit einem fetten Bauch unter den glatten Flügeln. Die kugelige Unterseite des Shuttles öffnet sich, und als es auf dem Asphalt vorwärtsrollt, werden Hunderte von senkrechten Boxen in Menschengröße sichtbar. Die Falltür schließt sich automatisch und es bleiben nur das Shuttle und die Rollbahn.
Colonel Martin hat erklärt, dass es ein Auto-Shuttle ist, das bestimmte Signale auf der Station und am Boden anfliegt. Aber ich frage mich schon die ganze Zeit, ob man damit nicht auch einen Umweg zur
Godspeed
fliegen und die Leute retten kann, die dort gefangen sind. Nach Größe und Form zu urteilen, nehme ich an, dass es bis an den Rand der Atmosphäre wie ein Flugzeug fliegt und dann der Raketenantrieb gezündet wird, der es in die Umlaufbahn befördert.
Colonel Martins kleine Ansprache und meine Worte haben die Leute nicht beruhigen können, aber das Auftauchen des Shuttles hat für absolute Stille gesorgt.
Das Auto-Shuttle ist gleichbedeutend mit einem Abschied für immer. Einige von uns werden fortgehen und wir werden sie nie wiedersehen. Sie werden zur Sol-Erde fliegen und kein Teil unserer Kolonie mehr sein.
Colonel Martin geht auf die Leute zu. Er lässt seine Soldaten mitzählen und entscheidet, welche der »Zivilisten« ins Shuttle einsteigen sollen. Den schwangeren Frauen wird eine Abreise empfohlen und kräftige Männer sollen bleiben, aber Familien und Freunde wollen sich nicht auseinanderreißen lassen. Sie weichen zurück oder weigern sich, während andere, die unbedingt gehen wollen, ihre Plätze einnehmen.
Auszusortieren, wer geht und wer bleibt, scheint eine Ewigkeit zu dauern. Doch schließlich werden die Leute zum Shuttle geschickt. Die kleinen senkrechten Boxen im Bauch des Shuttles, die ich schon bemerkt habe, sind dafür gedacht, je eine Person aufzunehmen.
»Die sehen aus wie diese automatischen Kleiderständer in der Reinigung«, sagt Amy und kichert nervös.
Die ersten Leute steigen ein. In der Mitte jeder Box ragt eine schmale Sitzgelegenheit heraus, ähnlich einem Fahrradsattel. Gurte an Brust und Hüften halten die Passagiere an ihrem Platz, dann versiegelt eine dünne durchsichtige Plastikhaube jedes Abteil.
»Nun?«, ruft Colonel Martin meinen Leuten zu, die nervös zugesehen haben, wie die erste Gruppe Wissenschaftler von der Erde ihre Plätze einnahm. »Nichts, wovor man sich fürchten muss.«
Immer wenn eine Reihe der kleinen Abteile belegt ist, senkt sich die nächste ab. Meine Leute rücken vor, immer noch verunsichert, denn es fällt ihnen schwer, einem Raumschiff zu vertrauen, das sie nicht kennen.
Während einige auf das Shuttle zugehen, beobachte ich, wie sich andere unauffällig zurückziehen. Ihre Blicke wandern nach links, vorbei an den Bäumen und dem See, dorthin, wo die Häuser stehen. Wo sie zu Hause sind.
Das Beladen des Shuttles dauert Stunden. Amy steht neben mir und sieht dabei zu, und ich habe keine Ahnung, was sie denkt. Ich berühre ihre Hand, doch sie zieht sie weg. Eine Angst, die ich kaum in Worte fassen kann, beginnt, sich in mir auszubreiten. Sie … sie will mich doch nicht verlassen, oder?
Als noch zwei Plätze übrig sind, lässt Colonel Martin keine Freiwilligen mehr an Bord.
In meinen Ohren ist ein grässliches Rauschen. Etwas stimmt nicht, aber ich weiß nicht genau, was es ist.
Colonel Martin geht auf das Kom-Zentrum zu, wo Amy, ihre Mutter und ich stehen.
Oh, nein.
Er streckt Amys Mutter die Hand entgegen. »Es ist Zeit«, sagt er.
Sie nickt.
Beide sehen Amy an.
»Zeit zu gehen«, sagen sie zu ihr.
Und da begreife ich es: Sie wollen Amy zurückschicken.
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49 Amy
Ich wusste, dass das kommen würde.
Schon als Dad anfing, darüber zu reden, wer gehen und wer bleiben sollte,
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