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Godspeed | Die Ankunft

Godspeed | Die Ankunft

Titel: Godspeed | Die Ankunft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beth Revis
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ich, dass er noch lebt.
    Amy schnappt nach Luft und ich blicke mich kurz zu ihr um. Ihre Augen sind vor Entsetzen weit aufgerissen und sie hat die Hand vor dem Mund. Sie hasst Orion, aber sie ist nicht herzlos. Niemand könnte diesen gebrochenen Mann ansehen und dabei kein Mitleid empfinden.
    »Orion?«, frage ich sanft.
    Er streckt mir zitternd eine Hand entgegen, die immer noch feucht ist und durch den Kontakt mit der Kryo-Flüssigkeit bläulich schimmert.
    Ich ergreife die Hand. Sie fühlt sich weich an, unangenehm weich, eher so wie ein nasser Schwamm. Als ich versuche, ihm durch Ziehen an einem Arm auf die Beine zu helfen, öffnet Orion den Mund und stößt einen keuchenden atemlosen Schrei aus.
    Er stirbt.
    Diese Erkenntnis trifft mich so unerwartet, dass ich beinahe würgen muss. Ich weiß, dass es so ist.
    Während Orion sich mühsam erhebt, weil all seine Muskeln geschwächt sind und sich durch die lange Inaktivität zurückgebildet haben, muss ich wieder an den Moment denken, in dem wir ihn eingefroren haben. Wir haben –
ich
habe – ihn einfach in die Kammer gestoßen und sie eingeschaltet. Wir haben seinen Körper nicht darauf vorbereitet. Keine elektrischen Pulsmesser auf seiner Haut, die ihm helfen, die Reanimation besser zu überstehen. Keine Augentropfen und keine Kryo-Flüssigkeit in seinen Adern. Und er trägt immer noch seine normale Kleidung.
    Oberhalb der Hand, die ich immer noch halte, läuft Blut aus seinem Hemdsärmel. Seine Haut ist mit seinen Sachen verschmolzen und zerreißt wie Reispapier.
    Amy schiebt uns einen Metalltisch auf Rollen hin, und als Orion endlich aufrecht steht, helfe ich ihm, zwei Schritte zu schlurfen, bis er sich auf die niedrige Tischplatte setzen kann.
    Sein Rücken ist tief gebeugt. Die Haare, von denen die blau funkelnde Kryo-Flüssigkeit tropft, hängen zottelig herunter. Er keucht, als wäre er gerannt, und saugt die Luft mit aller Kraft ein, die er aufbringen kann. Seine Finger sind gekrümmt wie Klauen und er hebt sie an sein Gesicht.
    Erst da bemerke ich seine Augen.
    Sie sind offen und quellen hervor, wie im gefrorenen Zustand. Sie sind von einem blauen Film überzogen und das Blau hat dieselbe Farbe wie die Kryo-Flüssigkeit. Seine Krallenhände fahren über sein Gesicht, über die inzwischen geschlossenen Augenlider bis hinunter zum Mund.
    Er murmelt etwas in seine Finger.
    Neben mir zittert Amy. Ihre Augen sind weit aufgerissen, und sie starrt das an, was von Orion noch übrig ist.
    Orions Hände fallen herab.
    Ich beuge mich über ihn und versuche, Blickkontakt aufzunehmen. Aber es geht nicht. Seine Augen nehmen mich nicht wahr.
    Er ist blind.
    Er ist blind, er leidet und er liegt im Sterben.
    Und es gibt nichts, das wir dagegen tun können.
    Es spielt keine Rolle, dass ich es nie beabsichtigt hatte. Es ist geschehen.
    Und ich war derjenige, der es geschehen ließ.

[zurück]
21 Amy
    Ich will, dass er einen Wutausbruch hat.
    Ich will, dass er brüllt, kämpft, den Tisch umwirft und uns angreift.
    Weil das der Orion ist, den ich einordnen kann.
    Ich weiß nicht, was ich für einen Orion empfinden soll, der leidet – dessen ganze Existenz nur noch aus Leiden
besteht
 – und der vor meinen Augen stirbt.
    »Was ist passiert?« Er krächzt die Worte, und die Bewegung der Lippen lässt seine Mundwinkel bluten – nicht sehr, gerade genug, dass ihm zwei dünne Rinnsale übers Kinn laufen.
    Junior bemüht sich um einen gelassenen Tonfall, als spräche er mit einem nervösen Tier. »Du wurdest eingefroren.«
    Orions Körper zuckt, und ich brauche einen Moment, um zu begreifen, dass es ein Lachen sein sollte. »Im Ernst? Wie lange?«
    »Drei Monate.«
    Ich beobachte, wie er diese Information verarbeitet. Es sieht aus, als würde er in nur wenigen Sekunden um diese zusätzlichen drei Monate altern.
    »Wo sind wir?«
    Damit meint er nicht, in welchem Raum wir uns befinden. Er will wissen, ob wir noch auf der
Godspeed
sind oder auf der Zentauri-Erde.
    »Wir sind gelandet«, sagt Junior.
    »Warum?«, fragt Orion. Es klingt aber nicht verärgert und auch nicht vorwurfsvoll.
    »Weil wir es mussten«, sagt Junior, aber ich frage mich bereits, ob das stimmt.
    Orion lächelt abschätzig, als hätte er dieselben Zweifel. Er hebt den Kopf. »Wieso tut es so weh?« Seine Stimme ist kaum mehr als ein Wispern. »Wieso kann ich nichts sehen?« Er hat Angst und scheint zu ahnen, was ihm bevorsteht.
    Mir bricht fast das Herz.
    »Du wurdest nicht fachgerecht

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