Goebel, Joey
besonders gut aussah. Er war unansehnlich und trug eine Zahnspange.
Andererseits war er reich, was man ihm auch ansah; außerdem spielte er Basketball. Auch wenn er nicht sehr oft in Spielen eingesetzt wurde, festigte es seine Stellung in der Cafeteria-Hierarchie, dass er zur Schulmannschaft gehörte. Wenn er nicht Basketball spielte, chillte er bei Rapmusik und feierte Partys mit seinen Freunden, die er »meine Jungs« nannte. Damals kam ihm das Wort Joint ausgesprochen leicht über die Lippen, und wenn er nicht kiffte, füllte er eine Toilettenschüssel mit seinem alkoholgesättigten Urin. Was sein Sexleben betraf, so machte sich Blue Gene an die schmutzigsten der sauberen Mädchen ran. Es fiel ihm leicht, von diesen Mädchen das zu bekommen, was er haben wollte, ohne mit ihnen eine feste Beziehung eingehen zu müssen. Seine Osterferien in Cancún mit seinen Mädels und seinen Jungs trugen orgiastische Züge von hinternklatschendem Hedonismus, ein allgemeiner Austausch sämtlicher verfügbarer Flüssigkeiten.
[316] Damals hatte Blue Gene kästen-, stangen- und plastiktütenweise Spaß, was – von den naheliegenden Gesundheits- und Sicherheitsrisiken abgesehen – an sich noch nicht sehr problematisch war. Doch in seinem gedankenlosen Streben nach Vergnügen konnte er gegenüber anderen sehr verletzend sein. So behandelte er beispielsweise seine Begleiterinnen mit äußerster Gleichgültigkeit; sie waren für ihn lediglich Körper, Gefäße für fleischliche Lust, und sobald er dieser Körper überdrüssig wurde, waren ihm die ihnen innewohnenden Gefühle egal. Ähnlich gedankenlos behandelte er auch alle jungen Männer und insbesondere Klassenkameraden, die es nicht bis in den inneren Zirkel schafften. Blue Gene war weder besonders gemein noch nett zu ihnen. Er schien sie schlicht und einfach nicht wahrzunehmen, vergeudete nie einen ernsthaften Gedanken an jene minderen Wesen. Er legte keinen Wert darauf, irgendwen kennenzulernen, der in der Cafeteria nicht innerhalb eines Kreises von drei Meter Durchmesser um seinen Mittagstisch herum saß.
Doch etwas war seltsam an der einseitigen Beziehung zwischen Blue Gene und seiner Clique zu der Mehrheit der ihnen gesellschaftlich unterlegenen Gleichaltrigen: Obwohl die coolen Kids sie ignorierten, kamen diese Höhlenmenschen dennoch zu den Basketballspielen und johlten und jubelten ihren arroganten Mitschülern zu. Je weniger Blue Gene und seine Clique die anderen Schüler beachteten, desto lautstarker schienen diese anderen Schüler sie zu unterstützen.
[317] Während des Labor-Day-Wochenendes vor dem Wal-Mart sah Blue Gene auch viele andere aus seiner Highschool-Zeit wieder. Sie alle waren Ende zwanzig, und die meisten von ihnen erkannten den Mann im ärmellosen T -Shirt, mit Flip-Flops, Vokuhila und Schnauzbart nicht, zu dem Blue Gene geworden war. Doch einige sahen das Mapother- T -Shirt und zählten zwei und zwei zusammen.
»Blue? Bist du das?«
»Was läuft, Stephanie?« Wie die meisten Mädchen, mit denen er auf der Highschool zusammengewesen war, sah Stephanie von hinten irgendwie besser aus. Sie kam am Sonntagmorgen forschen Schrittes zum Wal-Mart, den Pferdeschwanz straff zusammengebunden und mit einem schweigsamen Mann aus einer Studentenverbindung an ihrer Seite.
»Was geht ab !?«, fragte sie, und ihrem übertrieben gebräunten Gesicht merkte man an, dass sie sich an einen flotter gekleideten Jungen erinnerte.
»Gar nichts.« Am liebsten hätte er sie zurechtgewiesen, weil sie ihn so ansah, ihr vielleicht gesagt, sie sähe wie ein Chicken McNugget aus. Doch während sie seine strähnigen, an den Schultern leicht lockigen Haare musterte, begriff er, dass es ihr bestimmt schwerfiel, die Veränderung zu verarbeiten, die er in den letzten zehn Jahren durchgemacht hatte. »Du hast einen Schnauzbart.«
»Nein, gar nicht wahr. Das auf meiner Oberlippe ist eine Augenbraue.« Stephanie und ihr Begleiter lachten. »Was hast du so getrieben?«
»Ich bin gerade erst aus Seattle wieder hierhergezogen. Da oben habe ich meinen Master in Kommunikationswissenschaften gemacht.«
[318] »Spitze.«
»Und du, Blue? Was gibt’s bei dir Neues?«
»Ich helfe meinem Bruder bei seinem Wahlkampf. Hier.« Er gab ihr ein Flugblatt. Er gab auch dem Mann eins, den sie ihm gar nicht erst vorgestellt hatte. Blue Gene sah ihn an und nickte ihm zu. Genauso gut hätte er da neben Stephanie stehen können. Nach dem Highschool-Abschluss hätte er nur sagen müssen: »Bringt mir
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