Goebel, Joey
versuchte es mit einem Würgegriff, der sich als unwirksam erwies. Darius konterte mit einem Griff um Blue Genes Beine, doch erneut zog man die beiden voneinander weg. Ehe man sie endgültig trennen konnte, erwischte Blue Gene Darius’ Hand. Während die Mitspieler Blue Gene fortzogen, krallte der sich in Darius’ Fleisch und versuchte, seine Nägel unter die Adern auf dessen Handrücken zu bohren. Entsetzt bemerkte Blue Gene, dass seine Nägel Bledsoes Haut durchdrangen, und er lockerte seinen Griff, als er sich vorstellte, wozu er noch imstande sein könnte.
Als sich das Chaos gelegt hatte, stand Blue Gene keuchend da – ein Auge zugeschwollen, den Kopf drohend gesenkt, aus seinem Mund floss ein Blutrinnsal.
Seine Frisur war völlig hinüber.
Am Morgen des Labor Day entdeckte Blue Gene noch ein bekanntes Gesicht aus der Highschool, einen seiner früheren Mannschaftskameraden, Tyrone Castle. Wie allen anderen potentiellen Wählern nickte Blue Gene Tyrone freundlich zu und sagte: »Hallo. Wählt Mapother.« Die Reaktion war ein kühler, böser Blick, den Blue Gene postwendend zurückgab.
Blue Gene wusste, dass Tyrone die Sorte Mann war, die nicht verbal auf eine Begrüßung reagierte, sondern so tat, als wäre man ein Weichei, wenn man »Hallo« oder »Hi« sagte. Es schien, als müsse man sich ein »Hallo« von einem harten Burschen wie Tyrone erst verdienen.
Es war immer unangenehm, wenn Blue Gene zufällig einem seiner alten Mitspieler begegnete, weil nach der [322] Prügelei alle zu Darius gehalten hatten. Es hatte Blue Gene immer geärgert, dass sich nie jemand fragte, warum Darius auf seinen Mannschaftskollegen losgegangen war.
Doch es hatte durchaus seinen Grund gehabt. Würde man zwei beliebige Highschools auf der Welt zusammenlegen, würde man wahrscheinlich merken, dass sich die Beziehungen nicht danach herstellten, wer zuvor dieselbe Schule besucht hatte. Vielmehr würden sich die Schüler nach Cliquen zusammenschließen. Wären Darius und der kleine, bebrillte Schwarze auf dieselbe Schule gegangen, hätten sie am selben Cafeteriatisch gesessen. Dass Darius und Blue Gene zufällig dieselbe Schule besuchten und zufällig in derselben Mannschaft spielten, hatte nicht viel zu bedeuten. Und es widersprach der Vernunft, zu erwarten, dass sie einander verteidigten, weil die Grenzen des Schulbezirks es zufällig so wollten.
Tyrone kam in null Komma nichts wieder aus dem Wal-Mart, schmiss seine Einkaufstüte weg und öffnete sofort die Dose mit Salbe, die er gekauft hatte. Blue Gene sah Tyrone nach, als der den Parkplatz überquerte und ein frisches Tattoo mit Salbe bestrich. Es wurde Zeit, dass Blue Gene ein neues Tattoo bekam: etwas Großes, etwas Einschüchterndes, das der Welt zeigte, dass er ein Mann war, der es ernst meinte.
Alles war normal, als Blue Gene nach seiner Suspendierung in die Schule zurückkehrte. Seine Freunde übersahen, was er getan hatte, weil sie einem Mann nicht vorwerfen konnten, dass er auf dem Spielfeld so kämpferisch gewesen war. Blue Gene und Darius redeten nicht mehr miteinander, ja [323] sahen einander nicht einmal mehr an, was leicht war, weil alle schwarzen Schüler an einem langen Tisch am Ende der Cafeteria saßen, und weil er und Darius im Umkleideraum nie große Kumpel gewesen waren.
Doch Blue Gene konnte nicht vergessen, wie Darius an jenem Abend über ihn hergefallen war. Und weil er diesen Groll nicht loswurde, hatte er am Ende ein krankes und arthritisches Bein, das auch zehn Jahre später an Regentagen noch schmerzte.
Alles hatte wegen eines Tommy-Hilfiger-Pullovers begonnen. Darius kam eines Tages in einem Tommy-Hilfiger-Pullover in die Mathestunde, den Blue Gene – wegen eines unverwechselbaren Steaksaucenflecks am unteren Rand – umgehend als einen seiner alten Pullis identifizierte. Da der Fleck nicht mehr rausging, hatte Elizabeth ihn der Kirche Saint Vincent de Paul gespendet. Den Rest des Tages erzählte Blue Gene überall herum, der Spitzensportler der County High trage einen seiner dreckigen, abgelegten Pullover.
Als Blue Gene am selben Tag nach der Schule über den Parkplatz ging, sah er, dass Darius und sieben seiner engsten, bulligsten Freunde an Blue Genes Range Rover lehnten. Suchend sah er sich um. Doch da war keiner, nur ein paar Jungs und Mädels, mit denen er mal Partys gefeiert hatte, keiner, den er bitten konnte, in so eine Schlacht zu ziehen. Er war auf sich allein gestellt, und obwohl ihm der gesunde Menschenverstand riet, zurück in
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