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Goebel, Joey

Goebel, Joey

Titel: Goebel, Joey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heartland
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wie lebendig begraben. Er schämte sich, war deprimiert und ließ keinen seiner Freunde zu sich. Im weiteren Verlauf des Frühlingssemesters war er sozusagen nur noch als Gespenst in der Schule und wehte qua Klatsch und Tratsch durch die Flure. Henry hatte sämtliche Vergehen Blue Genes – sein grob unsportliches Foul, das Handgemenge, den Angriff mit dem Baseballschläger und den Unfall – aus den Zeitungen herausgehalten, und ohne einen gedruckten Beweis des Gegenteils kursierte auf der County High das Gerücht, Blue Gene Mapother sei gestorben.
    Mit den beiden gebrochenen Beinen und dem Abscheu, den ihm seine Eltern mit jedem ihrer Blicke vermittelten, wäre Blue Gene am liebsten gestorben. Er verabscheute sich auch selbst so sehr, dass ihm die Tränen kamen, wenn er sich [327] an ein bestimmtes Bild erinnerte: wie die auf der Tribüne sitzenden Eltern miterlebten, dass ihr kleiner Sohn mit der dicken Sportbrille zu Boden geschubst wurde.
    Blue Genes Freunde gingen zum Abschlussball und beendeten die Schule. Er sah sich Doppelfolgen von California Highschool – Pausenstress und erste Liebe an und stellte sich vor, wie er in einem Rollstuhl saß und eine Taste zur Verfügung hatte, mit der er nicht nur sich, sondern die gesamte Milchstraße in die Luft jagen konnte. Da er völlig bewegungsunfähig war, hatte er nicht einmal Zugriff auf den dezenten Sprengstoff namens Marihuana und Alkohol, der früher an so vielen Wochenenden sein Hirn hatte explodieren lassen.
    Im Frühling und Sommer zwangen ihn Henry und Elizabeth, seine Physiotherapie konsequent durchzuziehen, und im Herbst zwangen sie ihn, wieder die Schule zu besuchen. Es war schon schändlich genug, einen Sohn zu haben, der eine Klasse wiederholen musste, aber keiner ihrer Söhne würde die Highschool ohne Abschluss verlassen. In einem Rollstuhl in die Schule zurückzukehren war mit Abstand das Schwierigste, was Blue Gene je gemacht hatte. Schon die Eingangstür erwies sich für ihn als beinahe unüberwindliches Hindernis. Wenn er schließlich im Schulgebäude drin war, war er nicht nur entmutigt, weil er in einem Rollstuhl saß, sondern auch, weil er insgesamt alles andere als elegant aussah. Wegen des unförmigen Gipses um seine Knie musste er Jogginghosen tragen. Und wegen des ganzen Elends hatte er sich die Haare lang wachsen lassen. Sie waren zwar noch nicht richtig lang, aber auf dem besten Weg dahin, und obwohl Blue Gene seine längeren Haare gefielen, wenn er in [328] den Spiegel schaute, machte er sich Sorgen, wie seine Mitschüler darauf reagieren würden.
    Die meisten seiner Freunde waren inzwischen auf dem College, doch er hatte noch ein paar Kumpel in ehemals unteren Klassen, die jetzt wie er in der Abschlussklasse waren. Auf den Fluren wurde er fröhlich begrüßt, doch die anschließenden Gespräche waren traurig und peinlich, da Blue Gene es aus naheliegenden Gründen vermied, über die genauen Ursachen für seinen bedauernswerten Zustand zu reden, und weil er zum ersten Mal in seinem Leben das Gefühl hatte, herablassend behandelt zu werden. Er hasste es, zu anderen aufschauen zu müssen. Er hasste es, dass er sich in den Klassenzimmern in entlegenen Ecken platzieren musste, wo er niemandem im Weg war.
    An jenem ersten Schultag nach seinem Unfall verbrachte er die ersten vier Stunden damit, sich wegen des Mittagessens Sorgen zu machen. Da er nur langsam vorankam, traf er erst spät in der Cafeteria ein, und alle Plätze an den coolen Tischen waren besetzt. Er überlegte, in welche Lücke er seinen Rollstuhl hineinquetschen konnte, doch da war kein Platz für ihn.
    Als Blue Gene sein Essen bezahlt hatte, stellte er das Tablett auf seine Oberschenkel, doch weil er sich so angestrengt darauf konzentrierte, das Tablett zu balancieren, fuhr er beinahe gegen eine junge Frau, mit der er mehrmals geschlafen hatte, ehe er sie gegen eine andere ausgetauscht hatte. Um sie nicht zu rammen, bremste er abrupt, so dass ihm das Tablett vom Schoß rutschte und das demütigende Geräusch machte, das nur ein auf einen harten Cafeteriaboden treffendes Tablett machen konnte. Dieses Geräusch vergaß Blue Gene nie.
    [329] Das Mädchen ging rasch weiter, und da Blue Gene die vielen auf ihn gerichteten Blicke spürte, streckte er sich in Richtung der auf dem Boden verteilten Hühnchenteile, bemüht, sie wieder auf sein Tablett zu legen. Er kam sich vor wie in einem endlosen Martyrium, als er sah, dass sich ein Paar Flip-Flops näherten. In den Flip-Flops steckte

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