Goebel, Joey
eingeladen hatte, wo man sie als »Heaven« kannte. Doch dass er sich [332] in ihrer Gegenwart fühlte, als befände er sich am Weihnachtsmorgen in einer plüschigen Kuschelecke… das bewirkte, dass er sich ihr ganz hingab. Er war noch keine Woche mit ihr zusammen, da waren er und Cheyenne einander schon so vertraut, dass es ihm egal war, wie er in ihrer Anwesenheit roch. So hatte er sich bei keinem anderen Menschen je gefühlt, und er sah locker darüber hinweg, dass sie die manisch-depressive Mutter eines Kindes war, das einen mehr oder weniger weißen Dopedealer und Gangsta zum Vater hatte (der zum Glück Vergangenheit war, als Blue Gene sie kennenlernte).
Während Blue Genes zweites Abschlussjahr ins Land schlich, tauschte er seinen Rollstuhl gegen Krücken ein, und Cheyenne wurde seine oberste und einzige Priorität. Als ihre Beziehung zwei Monate alt war und Blue Gene bemerkte, dass ihre männlichen Freunde in ihrem Äußeren eine gewisse Lässigkeit an den Tag legten, befürchtete er, für seine neue Partnerin optisch nicht interessant genug zu sein. Ohne dass es seine Eltern wussten, ließ er sich eine Tätowierung seines Lieblingstieres, des Weißkopfseeadlers, machen, weil Cheyenne erwähnt hatte, dass sie Tattoos sexy fand. Später erwähnte sie, dass dicke, männliche Schnauzbärte sie ebenfalls antörnten.
Blue Gene unternahm alles, um sicherzustellen, dass er und Cheyenne am Ende gemeinsam in den Sonnenuntergang ritten – obwohl ihm bewusst war, dass ein Range Rover nicht der passende Wagen war, um darin mit einer Frau wie Cheyenne davonzufahren. Der Luxusgeländewagen gab Cheyenne den ersten Hinweis darauf, dass ihr neuer Partner Geld hatte. Die Bedeutung des Namens Mapother war ihr unbekannt, denn sie hatte noch nie eine [333] Zeitung gelesen, und statt Nachrichten sah sie sich mit Savannah Zeichentrickfilme an. Sie brauchte sogar eine ganze Weile, um Blue Genes Nachnamen korrekt auszusprechen. Er verheimlichte seinen Reichtum möglichst lange vor ihr, aus Angst, sein Geld könne sie abschrecken oder aus falschen Gründen anlocken. Er wollte sie dazu bringen, dass sie ihn mit seiner netten, aber robusten Persönlichkeit so sehr mochte, dass es keine Rolle mehr spielte, wenn sie irgendwann herausfand, dass er nicht nur gut situiert, sondern unglaublich reich war. Und genauso geschah es.
Letztlich beeinflusste Blue Gene Cheyennes fehlender Reichtum mehr, als dass sie von seinem Reichtum beeinflusst wurde. Schließlich hatte sich Blue Gene nicht nur in eine Wasserstoffblonde verliebt. Er lernte eine ganz neue Art und Weise kennen, sich durchs Leben zu lavieren: arm und ohne Ansprüche wie auch ohne die belastende Erwartung, dass man es jemals zu etwas bringen würde. In Cheyennes Freundeskreis gab es keinerlei Druck, cool zu sein, weil diese Leute selbst weder cool noch trendy waren. Sie waren trashig und zutiefst hemdsärmelig. In dieser neuen Clique würde sich seine Grammatik nicht merklich verbessern, und doch lernte er von diesen Leuten einige wichtige Dinge, besonders, wie man die schlichten Freuden des Alltags genoss. Cheyenne und ihresgleichen hatten zwar noch nie eine Filiale von Saks Fifth Avenue betreten, doch sie wiesen einen auf Dinge hin wie den Lärm von Zikaden, der bedeute, dass nun endlich Hochsommer sei, auf den beruhigenden Anblick eines auf kaltem Linoleum schlafenden Pitbulls oder den erfrischenden ersten Schluck eines eiskalten Miller-Lite-Biers nach einem harten Arbeitstag.
[334] Letzteres erlebte Blue Gene, nachdem er den seltsamen Neid nicht länger ignorieren konnte, mit dem er all seine neuen Freunde betrachtete, die aufreibende Erwachsenenjobs hatten. Sie alle hassten ihre Chefs und die lächerlichen Löhne, doch wenn Blue Gene gelegentlich einen der Männer in einem verdreckten Arbeitshemd mit dem aufgenähten Namensschildchen sah, hatte er unweigerlich das Gefühl, etwas zu verpassen. Alle um ihn herum schufteten sich auf der Arbeit krumm, nur um sich die wenigen Dinge leisten zu können, die sie besaßen. Und keine Arbeit zu haben gab Blue Gene das Gefühl, kein vollwertiger Mann zu sein.
Gegen Ende seines zweiten Abschlussjahres bewarb sich Blue Gene bei Wal-Mart, und dort nahm man ihn nach zwei Einstellungsgesprächen, obwohl er noch keine Berufserfahrung hatte und an einen Rollstuhl gefesselt war. Blue Gene machte den ersten großen Schritt hin zu einem Zerwürfnis mit seinen Eltern, als er ihnen sagte, er ziehe diesen Job mit einem Stundenlohn von 6,60 Dollar
Weitere Kostenlose Bücher