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Goebel, Joey

Goebel, Joey

Titel: Goebel, Joey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heartland
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wichtig wie eine, die am Montagnachmittag um dreizehn Uhr dreiunddreißig stattfand. Um diese Zeit kehrte er nämlich nach einer Mittagspause (eine Nummer zwei bei McDonald’s, der sich praktischerweise in dem Wal-Mart befand) auf seinen Posten zurück und sah eine alte Frau, die eine Sauerstoffflasche auf Rollen von ihrem Behindertenparkplatz in Richtung Eingang schob. Sie kam so langsam voran, dass sie von einem Kunden nach dem anderen überholt wurde, wie ein Traktor, der über eine belebte Autobahn schlich. Als sie die gelben Streifen des Fußgängerüberwegs erreichte, erkannte Blue Gene sie, wenn auch nicht sofort. Trauer durchfuhr ihn wie die Klinge einer Guillotine.
    Ihr Körper hatte früher einmal an einen großen Fleischklops erinnert, nachgiebig, aber fest, warm und gesund. Jetzt sah derselbe Körper aus wie ein von Hautfalten umwickelter, knochiger Stiel mit Haaren drauf, die im Alter die Farbe von Haferflocken angenommen hatten. Ihr Gesicht, das einmal pausbäckig gestrahlt hatte, wenn sie ihn »Schatz« nannte, war heute ein hageres, runzeliges Oval, das klipp und klar zu verkünden schien: »Ich habe verloren.«
    Offenbar bemerkte sie nichts außer dem nächsten Meter Beton vor ihrer kleinen Sauerstoffflasche. Das Leben schien [338] glatt durch sie hindurchzugehen wie durch einen Filter, der nur die giftigen Rückstände von Depression und Krankheit zurückbehielt, ein Gespenst in orthopädischen Schuhen und Stützstrümpfen.
    Doch etwas hielt sie auf und bewirkte, dass ihr gesenkter Kopf hochfuhr und ihre leere Miene sich belebte, und zwar voller Zorn, wie es schien. Es waren die leuchtend roten Buchstaben MAPOTHER IN DEN KONGRESS auf dem Transparent vor Blue Genes Tisch.
    Blue Gene wollte sie gerade begrüßen, doch als sie ihn ansah, schaute sie so finster drein, dass er zögerte. Sie schüttelte den Kopf und murmelte etwas, ehe sich die Automatiktüren vor ihr öffneten.
    Bestimmt hatte sie ihn nicht erkannt; schließlich hatte sie ihn das letzte Mal gesehen, als er zehn war. Oder vielleicht hatte sie ihn erkannt, hasste ihn aber aus irgendeinem ihm unbekannten Grund – vielleicht aus demselben Grund, weshalb sie nie auf seine Briefe geantwortet und nie zurückgerufen hatte.
    Er hatte sie seit seiner Kindheit nur ein Mal gesehen, mit Anfang zwanzig, zufällig in dem alten Wal-Mart, wo er gerade Regale auffüllte. Damals war er versucht gewesen, sie anzusprechen, wusste aber nicht recht, ob er überhaupt mit einer Person reden wollte, die ihm weder schrieb noch ihn zurückrief. Außerdem befürchtete er, dass sie ihn nicht erkannte, und dann würde er sich wie ein Idiot vorkommen. Und so unternahm er damals gar nichts. Doch an jenem Tag hatte sie auch nicht so ausgesehen. Sie hatte weder eine Sauerstoffflasche vor sich hergeschoben noch so mitgenommen gewirkt.
    [339] Blue Gene stopfte sich den Umschlag voller Geld vom Gebäckverkauf in die Hosentasche und ging auf die hellen Lichter des Wal-Mart zu.
    »Moment«, sagte Blue Gene. »Ich helfe Ihnen.«
    Sie hatte Schwierigkeiten, einen Einkaufswagen von einem anderen zu trennen. Sie sah ihn verärgert an. »Ich kann das«, sagte sie knapp. Sie riss den Wagen los und stellte ihre Sauerstoffflasche und eine große Handtasche aus Jeansstoff hinein. Als sie merkte, dass er immer noch neben ihr stand, musterte sie ihn, als wäre er behindert, und schob den Einkaufswagen an.
    »Ma’am, verzeihen Sie, aber sind Sie nicht Bernice?«
    »Doch.« Dass er ihren Namen kannte, sorgte dafür, dass sie sein Gesicht gründlicher musterte. Er sah, wie sie nachdachte, herauszufinden versuchte, woher dieser langhaarige, tätowierte, junge Fremde sie kennen mochte.
    »Ich bin Blue Gene.«
    Sie öffnete den Mund. Sie trat einen Schritt näher, sah ihm in die Augen und blinzelte. Das permanente Piepsen von fünfundzwanzig Scannern im Hintergrund klang wie eine Meute ausgeflippter Kobolde.
    »Kennst du mich noch?«, fragte er hoffnungsvoll.
    Hätte jemand hinten im Büro den Überwachungsmonitor für den vorderen Ladenbereich beobachtet, wäre ihm eine gebrechliche Frau aufgefallen, die einen jungen Mann zu einer theatralischen Umarmung an sich zog, die auch auf die Kinoleinwand gepasst hätte.
    » Natürlich kenne ich dich noch!« Die Umarmung war schwach, doch er spürte, dass sie sich bemühte. Sie roch nach [340] Rauch und Eukalyptus. Sie ließ ihn los und betrachtete ihn von Kopf bis Fuß. »Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an dich denke, Schatz!«
    »Danke. So

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