Goebel, Joey
leiser. Balsam sah richtig hundsgemein aus.
»Ich reiß mir für keinen ein Bein aus, doch hier geht’s nicht um mich. Es geht um wichtigere Dinge, denn was dein Bruder macht, hat mit meinem Land zu tun. Das ist das verdammt noch mal großartigste Land der Welt, und die Schwuchteln machen es kaputt. Und das lasse ich nicht zu. Ich bin weniger für deinen Bruder als gegen Leute, die Schwuchteln fördern. Ihm helfen ist verflucht noch mal das mindeste, was ich tun kann, weil sie mich nicht für mein Vaterland kämpfen lassen und behaupten, ich sei geisteskrank, aber scheiß drauf, denn ich kann immer noch zu Hause für mein Land kämpfen, indem ich uns gegen Schwuchtelunterstützer und Schwuchteln verteidige.«
»Schon gut, Balsam. Reg dich ab. Ich hab dich verstanden.«
»Neulich erst hat jemand erzählt, dass sie downtown ein Antikriegs-Pro-Schwuchteln-Theaterstück aufführen, und ich sagte, wenn das wirklich stimmt, werd ich noch das verdammte Gebäude in die Luft jagen. Und das ist mir ernst. Das ist mein Krieg, und ich werd sie vom Erdball pusten. Sie alle. Wir dürfen nicht vergessen, was man uns angetan hat.«
Da Blue Gene nicht wusste, was er sagen sollte, nickte er. Er schaute irgendwohin, nur um nicht Balsam ansehen zu müssen: auf einzelne Einkaufswagen, die in Parklücken [365] standen, auf die roten Fahrräder im Sonderangebot, die wie Vieh verkehrt herum auf Metallgestellen hingen. Balsam hatte sich jetzt neben Blue Gene hinter den Tisch gestellt. Seine Anwesenheit war beklemmend, und Blue Gene vermied weiterhin, ihn anzusehen. Er schaute zu den Überwachungskameras hoch, die wie Roboterkräne auf dem Gebäude thronten. Er schaute nach unten, und sein Blick blieb an dem Beton mit seinen glitzernden Stellen hängen, an den Zigarettenkippen und den platt getretenen, schwarzen Kaugummis. Doch ganz gleich, wohin sein Blick wanderte, er entkam dem Gedanken nicht, der so klar und deutlich war wie ein Werbeplakat: Er hatte vor einem anderen Mann Angst.
Balsams Hass jagte ihm Angst ein, roh wie eine offene Wunde, von der man den Schorf abkratzt. Blue Gene hatte auch nichts für Homosexuelle übrig, doch er hätte ihnen nie den Tod gewünscht.
»Was zum Teufel ist nur los mit dir, Mapother?«, fragte Balsam nach einer bedrückenden Stille. »Dass du so über deinen eigenen Bruder herziehst?«
»Ich weiß auch nicht.«
Am Nachmittag des Labor Day, etwa eine halbe Stunde nachdem Bernice gegangen war, tauchte endlich Jackie auf. Blue Gene überlegte gerade, wie er Bernice helfen könnte, und konzentrierte sich so sehr auf ihr Problem, dass er vergaß, die Passanten aufzufordern, Mapother zu wählen. Da hörte er laute, hektische Musik und sah Jackies mit Aufklebern übersäten Grand Am. Er war beleidigt, dass sie bis zur letzten Minute gewartet hatte, konnte ihr aber nicht mehr böse sein, als er sah, dass sie ein Geschenk dabeihatte. Es war [366] ein kleines, in Aluminiumfolie verpacktes Rechteck mit weißer Schleife. Sie sagte, er solle es sofort auspacken. Es war eine CD mit dem Titel Jackies beinharter Mix für Blue Gene.
»Danke, Mann.« In nachlässiger Schrägschrift standen auf dem Cover Namen von Bands, die er noch nie gehört hatte: The Go-Betweens, Built to Spill, The dB’s, Arcade Fire, The Butthole Surfers. Von den vierundzwanzig Künstlern auf der CD kannte er nur Bob Dylan und David Bowie. Der Bowie-Song hieß »Blue Jean«; Blue Gene hatte ihn noch nie gehört.
»Gern geschehen. Ich stelle echt gern für andere Leute Mix- CD s zusammen. Auf der hier sind ein paar alte und ein paar neue Sachen.« Wie üblich redete sie schnell, manchmal so schnell, dass sie sich verhaspelte, was sie aber nicht hinderte, fortzufahren. »Ich hab da ’ne Menge Achtzigerjahre-Kram draufgepackt, aber nicht Hall and Oates oder so was. Eher so was wie Underground-Bands aus den Achtzigern. Als wir klein waren, wurde so viel tolle Musik gemacht, aber da wir damals vielleicht fünf waren, fehlte uns der Zugang.«
»Vielen Dank.« Blue Gene überlegte, dass seine Zunge inzwischen bestimmt gelb geworden war, denn er hatte den ganzen Tag Kaffee getrunken. Er entfernte sich ein paar Schritte von Jackie, denn er befürchtete, dass sein Atem stank. Sie trug eine auffallende hellgrüne Hose und ein altmodisches braunes Polohemd, die Haare hatte sie straff nach hinten gekämmt, zu einem Pferdeschwanz gebunden und mit Spangen festgesteckt.
»Und, wie läuft’s hier draußen?«, fragte sie.
»Ich komm mir vor, als hätte
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