Goebel, Joey
ich jeden potentiellen Wähler im Bezirk gesehen. Wenn John verliert, isses nicht meine Schuld.«
[367] »Wieso dürft ihr das überhaupt machen? Mich haben sie hier nicht mal Flyer für Konzerte oder fürs Wrestling verteilen lassen.«
»Ich kenne ein paar Leute von meiner Arbeit im alten Wal-Mart.«
»Na klar. Ich hatte vergessen, dass du Beziehungen hast.«
»Stimmt. Sie sagten, nach dem Wahlkampf könnte ich meinen alten Job wiederhaben, was mich echt freut.«
»Warum arbeitest du so gern bei Wal-Mart?«
Blue Gene dachte über die Frage nach, während er in die großen, braunen Augen dieser wilden Einser-Studentin schaute. »Es sind die Pausen.«
»Die Pausen ?«
»Genau. Bei Wal-Mart kriegt man alle zwei Stunden eine Viertelstunde Pause. Man hat nicht gelebt, ehe man nicht auf der Arbeit ’ne Pause hatte. Eine Mittagspause, eine Kaffeepause, besonders eine Zigarettenpause. O Mann. Die sind das Größte.«
»Weißt du, was? Auch bei anderen Jobs gibt’s Pausen.«
»Stimmt. Aber ich hab da ein paar coole Leute kennengelernt.«
»So wie ich Wal-Mart kenne, geben sie einem wahrscheinlich Pausen, weil sie wissen, dass man unbezahlte Überstunden macht.«
»Warum gibst du nicht endlich mal Ruhe?«
»Weiß ich auch nicht. Vermutlich stelle ich einfach instinktiv alles in Frage.«
»Du gehörst zu den Leuten, die noch Graffiti Korrektur lesen würden.«
Jackie lachte und hielt sich wie immer sofort die Hand vor [368] die schiefen Zähne. Blue Gene erzählte weiter, wie er gelernt hatte, arbeitsfreie Tage zu genießen, wie sich jede Kleinigkeit, die er an diesen Tagen machte, toll anfühlte. An seinen freien Tagen kam ihm jede Fernsehsendung wie ein Geschenk für seinen müden Geist vor.
Dann besprachen sie die neuesten Ereignisse beim Wrestling und in Jackies Band, deren Mitglieder sich seit ihrem Auftritt im Zeughaus getrennt und wieder zusammengefunden hatten. So gern Blue Gene Jackies Geplauder hörte, seine Gedanken wanderten immer wieder zu Bernice.
»Du scheinst dir wegen irgendwas Sorgen zu machen«, stellte Jackie fest, als Blue Gene immer einsilbiger wurde.
»Ist nicht wichtig.«
»Und ob! Was gibt’s?«
»Gar nichts.«
»Du sagst mir nicht die Wahrheit. Du weißt, ich mag es nicht, wenn Leute mir nicht die Wahrheit sagen.«
»Also, ich will es mal so sagen. Was wäre, wenn es einen Menschen gäbe, der dir etwas bedeutet, und diese Person bräuchte Geld, um gesund zu werden und am Leben zu bleiben, doch um dieses Geld zu beschaffen, müsstest du Geld verwenden, das du eigentlich nie anrühren wolltest?«
»Tja, wenn es um Leben und Tod geht, dürfte das eigentlich keine Frage sein.«
»Schon, aber wenn es gegen deine persönlichen Prinzipien verstieße, dieses Geld zu benutzen, weil du jemanden darum bitten müsstest, und du es nie verwenden wolltest, und jetzt müsstest du deine Meinung komplett ändern?«
»Die Antwort ist für mich trotzdem klar wie Kloßbrühe. Oder etwa nicht? «
[369] 8
Für Blue Gene sah die Empfangsdame im Büro seines Vaters aus wie jemand, der ausschließlich ins Fernsehen gehörte. Sie war so elegant und wirkte so munter, überhaupt nicht der Typ Frau, dem man in der Realität begegnete. Als Blue Gene am Tag nach dem Labor Day in seinen Flip-Flops und dem John-Deere-Tank-Top auf sie zulatschte, musterte sie ihn, als wäre er die Personifizierung eines abstoßenden Geruchs, etwa vergammelnder Tacos.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie.
»Ich möchte Henry Mapother sprechen.«
»Haben Sie einen Termin ?«
»Nö.«
Sie lächelte, dann lachte sie böse. »Mr. Mapother empfängt niemanden ohne Termin.«
»Auch nicht seinen Sohn?«
»Oh – Sie sind Blue Gene. Es tut mir… Ich entschuldige mich. Das wusste ich nicht.«
»Schon okay. Macht nichts.«
Dieser Wortwechsel war ein Spiel, das Blue Gene gern mit Menschen veranstaltete, die ihn von oben herab behandelten. Nur in solchen Situationen spielte er seinen Nachnamen als Trumpfkarte aus. Im Lauf der Jahre hatte er ihn gegenüber diversen Wichtigtuern herausgezogen wie ein [370] Kripobeamter seine Polizeimarke, nur um sich dann anhören zu müssen: »Wenn Sie Henry Mapothers Sohn sind, bin ich die Königin von England.« Doch da sich bei Westway International herumgesprochen hatte, dass Henry Mapothers anderer Sohn seiner Familie beim Wahlkampf half, akzeptierte die Sekretärin, dass dieser haarige Penner genau der war, der er zu sein behauptete.
Doch trotz seines illustren Nachnamens musste Blue
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