Goebel, Joey
tut mir leid, aber wenn du nicht aufgehört hättest, für Mom und Dad zu arbeiten, würdest du jetzt nicht am Hungertuch nagen.«
»Das haben sie dir erzählt? Dass ich aufgehört habe?«
»Ja, schon. Stimmt das nicht?«
»Aber nein, ganz und gar nicht. Sie haben mich entlassen. Ich hätte diese Stellung nie aufgegeben. Niemals.«
»Warum haben sie dich dann entlassen?«
»Hauptsächlich hieß es, du wärst zu alt, du bräuchtest kein Kindermädchen mehr, doch in Wirklichkeit steckte mehr dahinter. Deine Eltern und ich sind ständig aneinandergeraten, musst du wissen, von deiner Geburt an. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war, dass [356] deine Mom zu einem Elternabend in die Schule ging, wo sie erfuhr, dass du im Unterricht Wrestler nachgemacht und gefurzt hast, wofür sie mich verantwortlich machte.«
»Aber du hast mich doch gar nicht auf Wrestling gebracht. Das war nämlich Dad, weil er mir ein paar Wrestling-Figuren geschenkt hat. Ich hab dich für Wrestling begeistert.«
»Egal, deine Eltern sagten, sie würden nicht zulassen, dass ihre Nachkommen ein schlechtes Licht auf sie werfen. Elizabeth sagte, ich hätte dich zum Furzen ermuntert, weil sie herausfand, dass wir unseren Fürzen Namen gegeben haben.«
»Das weiß ich noch! Wir haben sie wie Hurrikans benannt, alphabetisch, angefangen bei A.«
»Genau, und sie fand heraus, dass du das auch in der Schule gemacht hast… und das hättest du nicht tun dürfen, Blue Gene. Ich dachte, ich hätte dir Gescheiteres beigebracht – doch sie bekam einen Wutanfall und sagte, es sei trashig, seinen Fürzen Namen zu geben. Darauf habe ich mich entschuldigt, das hätte ich halt als kleines Kind gemacht, weil ich in ärmlichsten Verhältnissen aufgewachsen sei und wir so wenig hatten, dass ich glaubte, jeder Kleinigkeit einen Namen geben zu müssen, um das Gefühl zu haben, es gehöre mir. Sogar meinen Pupsern. Doch als dein Dad mich das sagen hörte, meinte er sinngemäß, das sei keine Entschuldigung. Schade, dass Sie arm waren, aber Sie hatten die gleiche Chance wie jeder andere, es in der Welt zu etwas zu bringen, also erwarten Sie kein Mitgefühl von mir! Und dann gerieten wir erst richtig aneinander. Ich erwiderte, er irre sich, häufig hänge es davon ab, in welche Familie man hineingeboren wurde. Und da bist du, Spross einer [357] reichen Familie, und dennoch bist du wie ich geworden. Deswegen möchte ich am liebsten heulen.«
»Und nach diesem Streit haben sie dich entlassen?«
»Genau. Wir hatten ’ne Menge Kräche, aber der war der schlimmste, und dann haben sie mich rausgeschmissen. Ich durfte mich nicht mal von dir verabschieden. Sie sagten, ich solle mich nie wieder blicken lassen. Wenn ich je wieder Kontakt zu dir aufnähme, würden sie mich verhaften lassen, und das hätte dein Dad bestimmt auch getan, ich wusste ja, wie gut er mit dem Polizeichef konnte.«
»Mir haben sie erzählt, du hättest gekündigt, weil du die Arbeit leid gewesen wärst.«
»Sie haben gelogen.«
Blue Gene rückte seufzend seine Mütze gerade. »Und die ganze Zeit war ich irgendwie wütend, weil ich dachte, du hättest gekündigt.«
»Aber nein. Ich bin entlassen worden. Ich an deiner Stelle würde sie aber nicht darauf ansprechen.«
»Ich kann das nicht einfach übergehen. So darf man dich nicht behandeln. So nicht.«
»Na ja, ich wünschte, du würdest nichts sagen, ich bin aber an dem Punkt angelangt, wo es mir eigentlich ziemlich egal ist. Bald bin ich sowieso tot, also isses egal.«
»Bernice.«
»Es stimmt aber. Ich bin jetzt an dem Punkt, wo ich mir nicht mal mehr Sauerstoff leisten kann. Das ist meine letzte Flasche.«
»Bekommst du keine Invalidenrente?«
»Doch, aber das reicht nicht. Ich kriege siebenhundert monatlich, dazu noch Lebensmittelmarken für zehn Dollar [358] im Monat. Eine meiner Arzneien ist umsonst, aber alles andere kommt auf knapp dreihundert, weil ich so teure Inhalatoren brauche. Meistens muss ich mir die Arzneien danach auswählen, welche ich am dringendsten benötige. Zum Beispiel weiß ich schon nicht mehr, wie lange ich ohne mein Zoloft auskomme.«
»Ich nehme auch Zoloft«, bekannte Blue Gene. Das hatte er noch nie jemandem erzählt.
»Ach ja?«
»Ja. Das ist doch keine Schande.«
Bernice lachte. »Das hab ich auch nicht behauptet. Die meisten Leute nehmen irgendwas. Jedenfalls läuft es darauf hinaus, dass ich entweder mein Zoloft bekomme oder die Behandlung mit meinem Zerstäuber, damit ich atmen kann –
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