Goebel, Joey
Siebenundfünzigjährige kein passender Ort sei.
Blue Gene fiel es genauso schwer, sich Bernice’ Geschichte anzuhören, wie er darunter litt, ihr welkes Gesicht anzusehen. Nach ihren Erzählungen der letzten anderthalb Stunden zu urteilen, sah sie Freude höchstens im Fernsehen.
»Bernice, ich möchte dir gern helfen.« Wieder öffnete Blue Gene sein graues Portemonnaie aus Jeansstoff.
»Nein. Vermutlich bist du nicht viel besser dran als ich. Steck das weg.«
»Was kostet Sauerstoff?«
»Ich nehme dein Geld nicht.«
»Ist mir egal. Du musst. Sieh dir an, was meine Familie hat, und du sitzt hier und kannst dir nicht mal Sauerstoff leisten?«
»Aber das betrifft deine Familie, nicht dich. Du bist nicht reich.«
»Also, das…« Er machte Anstalten, ihr von seinem Treuhandfonds zu erzählen, doch dessen Existenz hatte er verdrängt. »Irgendwie muss ich dir helfen. So kann ich dich nicht weiterleben lassen.«
»Also, um eins würd ich dich bitten, Schatz.«
»Raus damit.«
»Warte… ehe du ja sagst, musst du wissen, dass das, worum ich dich bitte, das Schwerste auf der Welt sein wird.«
»Du warst immer gut zu mir. Sag mir, was ich tun kann.«
»Hör auf zu rauchen.«
[362] An diesem Wochenende sah Blue Gene auch zahlreiche Gesichter aus seiner jüngeren Vergangenheit. Er bat Bob um dessen Stimme, den einarmigen Kriegsveteranen vom Flohmarkt, Steve und Familie, die er auf der Monstertruck-Show getroffen hatte, etliche Leute, mit denen er sich im Ambassador Inn unterhalten hatte, und einige seiner Freunde von Heartland Championship Wrestling. Am Samstagnachmittag sah Blue Gene Josh Balsams Pick-up gefährlich schnell über eine der Fahrspuren des Parkplatzes rasen. Wie gewohnt parkte er geschickt rückwärts in eine Parkbucht ein, ein Manöver, das Blue Gene diesmal nicht beeindruckte. Die Parkbuchten waren hier schräg angeordnet, und rückwärts einzuparken war völlig überflüssig. Blue Gene sah, dass der Truck zum Wegfahren nicht einmal in die richtige Richtung zeigte.
Als Balsam in seinen Schlabberjeans über den Parkplatz trottete, hatte Blue Gene Angst, dass er fragen würde, warum ihn in letzter Zeit keiner gebeten hatte, beim Wahlkampf zu helfen. Die Wahrheit war, dass er für John ein Problem geworden war, seit Balsam fast auf ein paar harmlose Wrestler losgegangen wäre. Allerdings hatte John Balsam nicht darüber informiert, dass seine Dienste nicht mehr benötigt wurden, so dass Blue Gene ihm diese Neuigkeit überbringen musste.
So etwas sah John ähnlich: Zuerst benutzte er einen Draufgänger wie Balsam, und kaum ging etwas schief, ließ er ihn wie eine heiße Kartoffel fallen. Blue Gene beschloss, sich dumm zu stellen, falls Balsam nach dem Wahlkampf fragte. Heute würde er seinem Bruder nicht die Drecksarbeit abnehmen.
Als Balsam sich Blue Genes Tisch näherte, verzog sich [363] dessen schnauz- und neuerdings ziegenbärtiges Gesicht missmutig.
»Hey, Balsam. Was geht ab?«
»Gar nichts. Musste für ’ne Weile aus’m Haus. Amber und ich haben gestern Abend rausgefunden, dass Nummer drei unterwegs ist. Trotz Verhütung.«
»Tja, darf man da gratulieren?«
»Machen alle anderen auch. – Wieso verkaufst du hier Brownies und so ’n Scheiß?«
»Für einen guten Zweck. Das Sterbehospiz.«
»Alles gut und schön, aber Gebäck? Hast du das alles selber gebacken?«
Balsam grinste. Blue Gene schoss, ohne zu überlegen, eine Breitseite zu seiner Verteidigung ab. »Nein, ich backe nicht. Hier ist Wahlkampf nicht erlaubt, und nur so sind wir damit durchgekommen.«
»Du machst Wahlkampf?«
»Ja«, sagte Blue Gene seufzend.
»Ich hätte doch helfen können. Warum ruft mich keiner mehr an?«
»Darum.« Wieder seufzte Blue Gene. »Mist. Eigentlich sollte John dir das sagen. Ihm hat nicht gefallen, wie du dich mit diesen Wrestlern angelegt hast, und er will nicht, dass so was noch mal passiert. Er will nicht, dass du noch für ihn arbeitest.«
»Was hast du gemacht? Mich bei ihm verpetzt?«
»Nein. Meine Güte, Balsam, kann dir das nicht egal sein?«
»Es ist mir egal.« Er schaute weg und spuckte auf den Gehsteig. »Halt bloß die Fresse.«
[364] »Ich sag doch bloß, es kann dir doch egal sein, ob mein Bruder sich von dir helfen lassen will oder nicht. Du bist der härteste Bursche, den ich kenne. Du solltest dir nicht für irgendwen ein Bein ausreißen, schon gar nicht für meinen Bruder da oben in seinem Elfenbeinturm.« Gegen Ende des Satzes wurde Blue Genes Stimme immer
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