Goebel, Joey
Interessen gewahrt, indem ihr sie abgefangen und mir nicht gegeben habt?«
»Von irgendwelchen Briefen weiß ich nichts«, leugnete Henry mit festem Blick.
»Und die ganze Zeit dachte ich, sie hätte gekündigt. Doch jetzt weiß ich, dass du und Mom sie entlassen habt.«
»Wir haben sie nicht entlassen. Sie lügt. Sie hat gekündigt. Sie war faul und dumm und hat selbst aufgehört. Was sie dir gegenüber natürlich nicht zugeben würde. Glaubst du ihrem Wort oder dem deiner Familie?«
Blue Gene beugte sich vor und strich sich über den Schnauzbart. »Ich weiß es nicht.«
»Du weißt es nicht? Du solltest keine Sekunde zögern. Du solltest nie jemand anderem mehr glauben als deiner Familie. Was hat sie für dich getan? Wo ist sie all die Jahre gewesen?«
»Na ja, sie hat versucht, mir zu schreiben.«
»Davon weiß ich nichts«, leugnete Henry wieder. »Ich lasse das überprüfen. Doch das ist ohne Belang. Für dieses [377] Vorhaben bekommst du dein Erbe nicht. Ich lasse nicht zu, dass Abschaum wie sie vom Vermögen meiner Familie lebt.«
»Aber das Geld liegt nur da rum und macht gar nichts. Außerdem ist es mein Geld. Du darfst es nicht behalten.«
»Und ob ich das darf! In dem Testament gibt es eine Klausel, die besagt, dass du das Geld erst mit dreißig erhalten wirst.«
»Blödsinn!«
»Du glaubst, dass ich lüge?«
»Du hast es mir schon früher angeboten.«
»Aus reiner Großzügigkeit. Damals hast du uns zum ersten Mal im Stich gelassen. Ich dachte, wenn ich dir etwas Geld zukommen lasse, wirst du vielleicht vernünftig und gehst aufs College und lässt die Finger von dieser Nutte.«
»Nein, du hast noch vor einem Monat gesagt, ich könnte es haben. In der Nacht, als du mich mit der Pistole bedroht hast.«
»Ja, wenn ich wollte, könnte ich die Altersklausel nicht anwenden. Doch da es um diese Frau geht, will ich die Klausel beibehalten.«
»Du willst mir also allen Ernstes erzählen, dass ich mein eigenes Geld nicht kriege? Ich bekomme nicht, was mir von Rechts wegen zusteht?«
»Nicht bevor du dreißig wirst.«
»Zeig mir das Testament.«
»Ich habe es nicht.«
»Wo ist es?«
»Leonard Crosby hat das einzige Exemplar.« Leonard war der langjährige Anwalt der Familie.
»Entweder holst du ihn ans Telefon oder ich.«
[378] »Ich bin der Testamentsvollstrecker. Ich muss nichts tun, was ich nicht will.«
»Na gut, dann nehm ich mir einen Anwalt.«
Henry lachte hell auf. »Ich hätte nicht gedacht, dass du dich in der Trailersiedlung mit Anwälten angefreundet hast.«
»Ich suche mir einen im Telefonbuch, so wie jeder andere auch.«
»Dann sehen Leonard und ich dich wohl vor Gericht.«
Blue Gene stand seufzend auf. Er schritt über einen weißen Perserteppich, der vom Schreibtisch bis zur Tür reichte. Als Henry das Hinken bemerkte, wandte er sich ab. In all den Jahren hatte er nie über Blue Genes Verletzung gesprochen oder über das, was dazu geführt hatte.
Henrys Telefon klingelte. Er drückte auf eine Taste. »Ja?«
»Ronald Gray auf Leitung eins«, sagte die Stimme der Sekretärin.
»Er soll warten. Ich gehe in einer Minute ran.«
»Wie wär’s damit«, sagte Blue Gene und nahm wieder Platz. »Wie wär’s, wenn du mir einfach etwas Geld leihst? Sagen wir ein paar tausend. Ich zahl’s dir zurück. Du weißt, dass ich kreditwürdig bin.«
»Das kann ich nicht machen, Eugene«, antwortete Henry sofort.
»Warum nicht?«
»Es liegt auf der Hand, dass du es Bernice geben willst.«
»Warum hasst du sie so?«
»Ich hasse sie nicht. Es geht dabei ums Prinzip. Dass sie krank ist, tut mir leid, aber ich bin für ihre finanzielle Notlage nicht verantwortlich. Ich habe sie elf Jahre lang unterstützt und schulde ihr gar nichts.«
[379] »Doch eher zehn Jahre, oder? Ich war zehn, als sie ging.«
»Stimmt, danke für die Richtigstellung, Eugene. Zehn Jahre. Jedenfalls bleibe ich in der Sache hart. Und jetzt verlange ich, dass du sämtliche Kontakte zu dieser Frau abbrichst.«
»Hey… leihst du mir ein paar tausend Dollar? Nicht für sie, sondern für mich?«
»Eugene.«
»Du hortest einfach nur Geld, Dad. Ich bitte dich gerade mal um einen Krümel von dem, was du hast. Du hast so viel Geld und hockst einfach darauf, statt dass es zirkuliert und anderen Menschen hilft, die sich selbst nicht helfen können, wie Bernice.«
»Hörst du endlich auf? Was ist nur aus Du sollst deine Eltern ehren geworden?«
»Ich ehre euch doch.«
»Nein, das tust du nicht. Ich muss jetzt
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