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Goebel, Joey

Goebel, Joey

Titel: Goebel, Joey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heartland
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sich nicht mehr so sehr dagegen, dass Jackie seine Ansichten ändern wollte, denn so ungern er es auch zugab: Was seine Familie betraf, hatte sie offenbar recht.
    Im Lichte dessen, was er heute wusste, erschienen einige der Songtexte für Blue Gene in einem ganz neuen Licht. »Only a Pawn in Their Game« klang jetzt völlig vernünftig – für die Mapothers war er wirklich nur eine Schachfigur gewesen. Anscheinend legte Jackie großen Wert darauf, dass Blue Gene Bob Dylan schätzen lernte; sie hatte noch zwei andere seiner Songs aufgenommen, »With God on Our Side« und »Masters of War«. Natürlich würde er seine langgehegten Auffassungen nicht wegen ein paar Songs auf einer Mix- CD aufgeben, spielte aber mit dem Gedanken, einige dieser grimmigen Stücke seiner Familie vorzuspielen, nur um sie zu ärgern, Songs wie »Bastards of Young«, »Making Plans for Nigel« oder »Capitalism Stole My Virginity« auf ihrer supermodernen Stereoanlage dröhnen zu lassen, bei eingeschalteter Wiederholungsfunktion.
    Als Jackies CD gegen Mitternacht zu Ende war, spielte er sie noch mal und fragte sich, was jeder Einzelne seiner Verwandten jetzt, wo er die Wahrheit kannte, für ihn war. Wenn [450] er das Wort Dad dachte, sollte er jetzt vor seinem inneren Auge John sehen? Der Mann, den er bisher Dad genannt hatte, war nur nominell Dad. All diese Leute und ihre Namen. Und die Namen bedeuteten mehr als die Menschen, zu denen sie gehörten, denn die Namen hielten alles zusammen.
    Wenn einen jemand fragt: »Warum lässt du dir das bieten, dass dein Dad dich so behandelt?«, antwortet man: »Weil er mein Dad ist und ich ihn liebe.« Man liebt und ehrt ihn also, weil er dieses Wort ist: Dad. Familie ist auch so ein Wort. Man mag sich gegen deren Mitglieder wehren, aber sie gehören immer noch zu deiner Familie, deshalb geht man letztlich immer zu ihnen zurück. Weil die Leute diese Wörter sind, schiebt man alles andere beiseite. Diese Wörter haben immer Vorrang, weil sie die Ideen verkörpern, die man sein Leben lang wertschätzen soll, so hat man es uns gelehrt. Und das alles ist gut und schön, aber was macht man, wenn man herausfindet, dass Wörter wie Mom, Dad, Bruder und Familie eigentlich gar nicht in das Bild passen, das man ein Vierteljahrhundert lang für richtig hielt?
    Vielleicht denkt man dann auch über andere Wörter nach, die einem bisher so unendlich viel bedeutet haben. Vielleicht hebt man diese Wörter auf, staubt sie ab, hält sie gegen die Hotelzimmerlampe und sieht sie sich gründlich an. Vielleicht nimmt man die Wörter, die für einen selbst am wichtigsten sind, und die Wörter, die für die anderen am wichtigsten sind – und wichtig müssen sie sein, denn sie tauchen ständig in ihren Reden auf –, und sieht sie sich zum ersten Mal in seinem Leben richtig gründlich an. Man steckt den Finger durch ihren Glanz und schält ihre goldene Hülle ab und kann jetzt zum ersten Mal im Leben ins Innere dieser [451] Wörter sehen, und man ist nicht besonders überrascht, wenn man erkennt, dass das Innere dieser Wörter und die Wörter an sich absolut rein gar nichts miteinander zu tun haben.
    Als Blue Gene in das Ambassador Inn eincheckte, hatte er geglaubt, er werde sich in eine Art düstere, feierliche Abgeschiedenheit zurückziehen, wo er mit keinem anderen Menschen ein Wort wechselte, eine Art Winterschlaf, der erst endete, wenn ihm die Haare bis über den Hintern gewachsen waren. Der Winterschlaf dauerte schließlich eine ganze Woche. Dann hängte er sich ans Telefon.
    »Ich hab mir deine Mix- CD in den letzten Tagen ziemlich oft angehört und mich gefragt, ob du mir ein paar Tipps geben könntest, welche Platten ich von den Künstlern auf deiner CD kaufen sollte.«
    »Oh, toll. Sie hat dir wirklich gefallen?«
    »Ja. Zuerst nicht, zugegeben. Aber jetzt schon.«
    »Danke dir! Das find ich echt prima. Ich mag’s, wenn das passiert. Das kommt nämlich eher selten vor. Wer hat dir am besten gefallen?«
    »Bob Dylan.«
    »Jau!«
    »Klang der schon immer wie ein alter Mann?«
    Jackie lachte. »Ja. Schon immer. So hab ich das zwar noch nie gesehen, aber es stimmt, er hat schon immer wie ein alter Mann geklungen. Bei den Songs, die ich dir gegeben habe, muss er wohl Mitte zwanzig gewesen sein. Bei ihm kannst du nichts falsch machen, wenn du seine Alben aus den sechziger Jahren kaufst. Und von ihm gibt es jede Menge Best-of-Zusammenstellungen, die ein guter Anfang wären. Eigentlich [452] haben sie viel zu viele von

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