Goebel, Joey
räusperte sich. Henry sah auf seine silberne Uhr. »Und, schafft John es noch?«
»Er müsste jede Minute hier sein«, sagte Abby.
»Dann werde ich Roberta bitten, den Salat zu servieren«, sagte er und ging wieder hinaus.
Und genau so hatte Blue Gene seinen Vater in Erinnerung, immer unterwegs in ein anderes Zimmer, immer im Aufbruch begriffen. Doch das störte Blue Gene nicht, denn jedes Mal, wenn sie zusammen in einem Raum gewesen waren, hatte er das seltsame Gefühl gehabt, durch seine bloße Anwesenheit etwas falsch zu machen.
Während Roberta verschiedene Salate und Silberschälchen mit Roquefort-Dressing brachte, legte Abby Arthur seine Stoffserviette auf den Schoß, was Blue Gene bewog, es genauso zu machen. Er hatte seit Jahren keine Serviette mehr auf dem Schoß gehabt, allerdings wäre er sich in jüngeren Jahren ohne eine bei Tisch nackt vorgekommen.
»Haben alle noch genug zu trinken?«, fragte Elizabeth. Alle nickten. »Gut. Ach ja… ehe wir anfangen, möchtest du das Tischgebet sprechen, Gene?«
»Muss nicht sein. Mach du nur.«
»Aber wir lassen bei uns immer die Gäste das Tischgebet sprechen.«
»Du siehst mich als Gast?«
[77] »Ja, natürlich. Als was siehst du dich denn? Du wohnst hier nicht mehr, folglich bist du unser Gast. Unser Ehrengast.«
»Das heißt dann wohl, dass ich hier kein Zimmer mehr habe.«
»Eigentlich hast du doch noch ein Zimmer hier, da wir aus deinem Zimmer ein Gästezimmer gemacht haben und du ja unser Gast bist.«
»Aha.« Blue Gene schaute auf seinen Salat und dachte an das tröstliche Chaos in seinem alten Zimmer.
»Tut mir leid, Gene, aber du bist jetzt vier Jahre weg. Hast du erwartet, dass wir dein Zimmer so belassen, wie es war?«
»Eigentlich nicht, aber ihr habt doch schon fünf Gästezimmer. Wie viele braucht ihr denn noch?«
»Würde endlich jemand das verdammte Tischgebet sprechen?«, sagte Henry.
»Gene, bitte?«
»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen«, sagte er und bekreuzigte sich. Dann faltete er die Hände und senkte den Kopf. »Komm, Herr Jesus, sei unser Gast, und segne, was du uns besorgt hast. Amen.«
»…bescheret hast. Amen«, sagte Elizabeth. »Warum hast du besorgt gesagt?«
»Ich hab dir doch gesagt, dass ich es nicht sprechen will.«
»Entschuldige. Nein… das hast du gut gemacht. Danke.«
In den nächsten Minuten kam das einzige Geräusch von Blue Gene, der seine Croutons kaute. Er sah sich im Esszimmer um, das ebenfalls noch genauso war, wie er es in Erinnerung hatte. Der Raum wirkte beinahe düster mit seinem dunklen Parkettboden, einem gedimmten Kronleuchter, zwei [78] antiken Vitrinen für das Porzellan und einem ausgezehrten Christus an der Wand.
»Und, was hast du mit deinem Leben so gemacht?«, fragte Henry.
»Gearbeitet.«
»Bei Wal-Mart?«
»Genau. Na ja, bis letztes Jahr. Jetzt bin ich auf dem Flohmarkt.«
»Du warst so lange bei diesem Wal-Mart. Man sollte meinen, du hättest einen gewissen Status gehabt, als du gegangen bist.«
»Sollte man meinen. Und wie ist’s mit euch? Was habt ihr so gemacht?«
»Wir arbeiten auch«, sagte Henry, ohne von seinem Salat aufzublicken.
»Ich arbeite immer noch ehrenamtlich in der Kirche«, sagte Elizabeth. »Damit bin ich ziemlich ausgelastet.«
»Reine Neugier, aber wo siehst du dich in fünf Jahren?«, fragte Henry.
»Da kommt Daddy!«, rief Arthur und sprang auf.
Vielleicht lag es daran, dass er seinen fünfjährigen Sohn trug, aber Blue Gene fand, dass John älter aussah, wie ein richtiger Erwachsener. Er war jetzt vierzig, und so, wie die Haare seines Vaters oben grau und an den Seiten weiß geworden waren, waren Johns dunkelbraune Haare an den Koteletten ergraut. Er sah immer noch richtig gut aus, wie jemand aus einem Schwarzweißfilm. Blue Gene hatte sich immer gefragt, warum er äußerlich so anders geraten war als John, kein Hollywoodstar, weder besonders hässlich noch [79] regelrecht gutaussehend. Unter dem Schnauzbart sah er ganz gewöhnlich aus. Er hatte Elizabeth einmal gefragt, ob er adoptiert sei, und sie hatte geschworen, in seinen Adern fließe das gleiche Mapother’sche Blut wie in ihnen allen. Wenigstens war Johns Gesicht nicht völlig makellos; durch die dicken Ringe unter den Augen wirkte er müde. Heute Abend sah er aus, als könnte er die Augen kaum offen halten.
»Blue Gene.«
»Hey, John.« Er schob seinen Stuhl nach hinten und stand auf.
»Ich muss dich absetzen, Knuddelbär, damit ich meinen kleinen Bruder
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