Goebel, Joey
gebührenden Respekt zu erweisen, zog sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit über die Regierung her, die für ihre Sicherheit sorgte. Und wenn man das jetzige System durch ein völlig anderes ersetzen würde, hätte sie auch an dem etwas auszusetzen, würde sie meckern um des Meckerns willen. Ihre und seine Welt zu mischen wäre, wie Bier und Tee zusammenzuschütten. Ein Blick auf ihn, und sie würde laut loslachen. Sie konnte ihn mal. Wenn sie so cool und einmalig war, warum hatte sie dann schwarze Chuck Taylors an den Füßen, genau wie alle anderen Rockmusiker?
[220] Nach seinem letzten Griff, einem Inverted Piledriver, nagelte Turbulence Charley Horse auf dem Boden fest, und ein schwächlicher Schiedsrichter schlug auf die Matte, eins, zwei, drei. Nachdem der Schiedsrichter Turbulence’ Arm zur Siegerpose in die Höhe gehalten hatte, hetzte die Band durch zwei weitere Songs, einer hieß »Lavender Quagmire«, der andere »False Alarm«.
Blue Gene schnappte hier und da ein paar Textfetzen auf, irgendwas über Jeffrey Dahmer und den Unabomber, etwas über Hundebisse und Kompromisse, etwas über Leute als wandelnde Depots für Starbucks-Kaffee und etwas über Tyrannen mit Krawatten. Im zweiten Song folgten einige Wörter, die sie ständig wiederholte, und zwar so oft, dass Blue Gene es nervig fand. Blue Gene nahm an, dass es fremdsprachige Wörter waren.
Die meisten Wrestler bei der HCW gehörten in zwei Kategorien: Entweder waren es massige Männer mittleren Alters, deren Gewicht sich auf Fett, nicht auf Muskeln verteilte, oder es waren Sechzehn- bis Fünfundzwanzigjährige wie The Stranger, mit ganz normalem Körperbau. Stiernackige Muskelprotze, wie man sie aus dem Fernsehen kannte, gab es überhaupt keine. Und im Gegensatz zu den Spitzenwrestlern rasierten sich diese Männer nicht die Körperhaare. So sehr wollten sie sich nicht festlegen.
Biggun’ McGraw fiel gut gelaunt über The Stranger her, den Blue Gene nicht von früher kannte. Blue Gene mochte The Stranger nicht, weil der statt Stiefeln und Elastanhose schlichte Shorts und ein Unterhemd trug. Andererseits war The Stranger offenbar wild entschlossen, nicht gemocht zu [221] werden: Er beleidigte die Zuschauer, erzählte ihnen, ihr Leben sei sinnlos, und schrie immer mal wieder »Das ist alles unwichtig!«, während Biggun’ ihn nach Belieben mit einem Gorilla Press Slam durch das Ringgeviert schmetterte. Als Biggun’ ihn mit einem Fisherman’s Suplex zu Boden drückte, quittierte der Stranger das mit einem Schulterzucken und dem Ausruf: »Was macht das für einen Unterschied?« Als er anschließend den Gang zurückschlenderte, schrie die großmäulige Siebzigjährige: »Du hast’s ja nicht mal versucht, du kleiner Scheißer!«
»Dieser Song ist für die Sportfans unter euch«, sagte die furchtlose Sängerin, als beide Wrestler in der Umkleide verschwunden waren. »Er heißt ›When Jocks Cry‹.« Die Band legte los – wieder eine schnelle Nummer mit unverständlichem Text. Ein ziemlich lustiger Titel, wie Blue Gene zugeben musste. Als er im Basketballteam der Commonwealth County Highschool gespielt hatte, fand er es lächerlich, wenn seine Mannschaftskameraden nach einem verlorenen wichtigen Spiel weinten. Diese Typen hatten wahrscheinlich seit Kindertagen keine Träne mehr vergossen, doch das brachte sie zum Weinen: ein verlorenes Ballspiel.
Blue Gene hatte noch nie begriffen, warum Menschen Sport so wichtig nahmen. Zum ersten Mal war ihm das mit elf aufgefallen, als Henry ihn gezwungen hatte, Basketball zu spielen. Vor seinem ersten Training hatte der junge Blue Gene angenommen, da alle gern Sport machten und Mannschaftssportarten im Grunde nichts anderes als Spiele waren, würde das Training bestimmt Spaß machen. Doch bald merkte er, dass die Stimmung beim Basketballtraining ernst, ja geradezu bedrückend sein konnte. Bei den Spielen gab es [222] wenigstens Musik, Popcorn und jubelnde Fans. Aber beim Training gab es keine entspannten Momente… nur Trainer, die eher strenge Zuchtmeister waren und es offenbar darauf anlegten, dass die Jungs mit sich unzufrieden waren. Während der ganzen Highschool-Zeit hatte er versucht, das Training durch Scherze aufzulockern. Beispielsweise hatte er vorgeschlagen, die Mannschaft solle doch üben, das Zeichen für eine Auszeit zu geben, während der Ball noch in der Luft war und kurz bevor er ins Aus flog. Die Trainer schimpften ihn jedes Mal aus. Und es lachte sowieso keiner. Alle anderen Spieler
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