Goebel, Joey

echter Durchschnittstyp?«
    »Ich meine, wie« – sie deutete schwungvoll auf Blue Genes Körper –, »so wie du. «
    »Nein. Ich bin nicht immer so gewesen.«
    »Wie lange bist du denn schon so?«
    »Keine Ahnung. Vielleicht zehn Jahre.«
    »Also dein ganzes Erwachsenenleben?«
    »Aber ja. Hoffentlich hast du nichts dagegen«, sagte er und holte seine Zigaretten und ein Feuerzeug heraus.
    »Ich hab nichts dagegen. Werd ich zu neugierig?«
    »Nö. Aber jetzt würd ich dir gern ’ne Frage stellen.«
    »Nur zu.«
    »Warum spielst du solche Musik?«
    »Meinst du Punkrock?«
    »Nennt man das so?«
    Sie lachte. »Ich glaube schon. In Ermangelung eines besseren Begriffs. Tja, zunächst einmal ist Punkrock die einzige Musik, die ich spielen kann. Doch mich hat daran gereizt, dass man beim Spielen Fehler machen durfte. Und das hat mir gefallen, weil ich mein Leben lang so schüchtern war, und wenn man schüchtern ist, ist man meistens nervös und hat ständig Angst, sich vor anderen Leuten zu blamieren.«
    »Ich hätte dich nie für schüchtern gehalten.«
    »Das war ich aber. Ich bin’s immer noch. Wenn ich auf der Bühne stehe, ist das wie eine Maske, die ich mir aufsetze. Nie [295] hätte ich mir träumen lassen, irgendwann mal so auf der Bühne zu reden und zu singen. Ich erschrecke immer noch vor mir selbst, wie neulich abends im Zeughaus. Egal, jedenfalls wollte ich schon immer in einer Band spielen, hatte aber Angst, mich auf der Bühne vor allen Leuten zu blamieren. Doch dann erfuhr ich, dass Fehlermachen beim Punkrock nicht nur erlaubt ist, es wird erwartet. Sogar wenn man vor Publikum auftritt, kann die Musik schlampig, schräg, ja sogar falsch sein. So was brauchte ich als Neunzehnjährige, als ich das Leben so ernst nahm und mich bemühte, in der Schule gute Noten zu bekommen, damit etwas aus mir werden würde.«
    »Verdammt. Das ist eine gute Antwort.«
    »Ich hab viel darüber nachgedacht.«
    In ihrem Schwall von Substantiven und Verben waren die Wörter verborgen, die präzise beschrieben, warum er sich auf diese bescheidene Lebensweise eingelassen hatte. Blue Gene musste sich keine Gedanken wegen seines Aussehens machen. Er musste nicht befürchten, das Falsche zu sagen. Er musste keine Angst haben, Fehler zu machen, denn ob im Wohnwagenpark, im Lager von Wal-Mart oder auf der Monstertruck-Show, überall war es sowieso chaotisch, dreckig, und man rechnete ohnehin mit Fehlern.
    Jackie lachte.
    »Was ist?«
    »Es ist bloß komisch«, antwortete Jackie grinsend und bedeckte ihren Mund. »Wir gehen spazieren, und Gehen ist eigentlich ein gutes Training, aber du rauchst beim Training.«
    »Wer raucht, sündigt nicht«, erklärte Blue Gene bestimmt, in der Hoffnung, das Thema zu beenden.
    [296] »Rauchst du die Marken, die Westway herstellt?«
    »Nein. Ich mochte schon immer am liebsten Parliaments.«
    »Warum?«
    »Die sind billiger.«
    »Das generelle Rauchverbot in geschlossenen Räumen bringt deine Familie doch bestimmt zum Ausflippen, hm?«
    »Ich red mit ihnen nicht übers Geschäft. Aber ich bezweifle es. Die verdienen nur einen Teil ihres Geldes mit Tabak.«
    »Wo kommt euer Geld denn her?«, fragte sie misstrauisch.
    »Keine illegalen Sachen, wenn du das meinst. Meine Mom und mein Dad haben eine Menge von ihren Eltern geerbt, und Dad hat überall investiert. Auf der ganzen Welt.«
    »Für Zigarettenfirmen wird es immer schwieriger, in Amerika neue Kunden zu finden – stimmt es also, dass sie weniger informierte Menschen in Entwicklungsländern zum Rauchen animieren?«
    »Ich weiß nicht, was sie machen, aber fang nicht wieder an, übers Rauchen herzuziehen. Rauchen ist nicht der Teufel. Es hat vielen Menschen geholfen, ihre Brötchen zu verdienen. Es ist nicht mehr so wichtig, wie es mal war, das weiß ich, aber dieses ganze Land wurde auf Tabak gebaut. Denn so hat das Land angefangen. Es war eine echt gute Gegend, um Tabak anzubauen.«
    »Genau! Ich bin so froh, dich das sagen zu hören, Blue Gene.«
    Sie hatte ihn zum ersten Mal mit seinem Namen angeredet.
    »Wieso?«
    »Weil du zugegeben hast, dass Amerika wegen der [297] Wirtschaft begründet wurde. Es ging nicht nur um Ideale und die Freiheit.«
    »Hey, leg mir bloß keine Worte in den Mund. Ich hab das nur gesagt, weil meine Vorfahren zu denen gehörten, die hier die ersten Tabakfirmen gründeten, und derentwegen das Land überhaupt erst als Kolonie interessant wurde. Mein Dad hat immer gesagt, die Geschichte unseres Landes wurde auf