Goebel, Joey
Tabakblättern geschrieben.«
»Das glaube ich gern. Wusstest du, dass Bashford früher mal nach dem Pro-Kopf-Einkommen die zweitreichste Stadt Amerikas war, weil hier so viele Tabakbarone wohnten?«
»Was ging schief?«
»Tja, so leid’s mir tut, aber deine Familie ging schief. Früher war der Wohlstand auf verschiedene Tabakfirmen verteilt, doch dann ist dein Großvater gekommen und hat alle übernommen. Danach gab es keine reiche Stadt mit hohem Pro-Kopf-Einkommen mehr, sondern nur noch eine einzige sehr reiche Familie – die Mapothers.«
»Woher weißt du das alles?«
»Ich geb’s zu. An dem Abend, als ich dich kennengelernt habe, habe ich über dich und deine Familie im Internet recherchiert.«
Unter Blue Genes Schnauzbart tauchte ein zartes Lächeln auf. »Was hast du noch herausgefunden?«
»Das war’s schon. Deine Familie hat im Grunde das Gleiche getan, was Vince McMahon mit der Wrestling-Branche gemacht hat. Anfangs war die Branche landesweit in Territorien aufgeteilt, jedes mit seinem eigenen, unabhängigen Veranstalter. Dann kam Vince, drängte sich in alle Bezirke [298] rein und warb die Kämpfer ab. Vince hat sich die gesamte Branche unter den Nagel gerissen.«
»Stimmt, aber mein Großvater hat sein Leben lang schwer gearbeitet, um so erfolgreich zu sein. Er starb mit Mitte vierzig. Und mein Dad hat auch schwer gearbeitet. Tu nicht so, als hätten sie’s nicht verdient.«
»Das ist bestimmt wahr, aber ihre Arbeiter haben mit Sicherheit genauso schwer gearbeitet und dafür nur einen Bruchteil des damit verdienten Geldes bekommen. Nach allem, was du mir über dich erzählt hast, sollte man meinen, du wärst auf Seiten der Arbeiter. Das versteh ich nicht an dir.«
»Ich bin auf der Seite der Arbeiter.«
»Wenn das stimmt, wieso gehen sich deine Familie und du nicht gegenseitig an die Gurgel?«
»Manchmal kommt es schon vor. In letzter Zeit läuft es ganz gut, aber wir haben vier Jahre lang überhaupt nicht mehr miteinander geredet.«
»Sie haben wohl wieder mit dir geredet, als sie deine Hilfe beim Wahlkampf brauchten?«
»Ja.« Jackie nickte wissend. »Was soll das heißen? Dass sie mich nur benutzen?«
»Glaubst du das denn?«
»Nein, das glaube ich nicht. Aber ich finde deine Andeutungen wirklich nicht nett.«
»Verzeihung.«
Blue Gene bemerkte einen halb mit Schimmel überzogenen Holzzaun. »Und selbst falls sie mich wirklich benutzen, na ja, vielleicht hab ich gar nichts dagegen. Denn vielleicht ist es schön, nicht ignoriert zu werden. Na klar hab ich sie [299] auch ignoriert. Aber vielleicht ist es nett, zur Abwechslung mal etwas Aufmerksamkeit zu bekommen.«
»Verstehe.«
Blue Gene verstummte abrupt. Ein Mann mit einem rosanasigen Labrador ging vorbei, und Blue Gene verzichtete aufs Winken. Er grübelte immer noch, als sie zu Jackies Haus zurückkamen, dessen Dach wegen der Luftverschmutzung aschefarbene Streifen aufwies. Am Briefkasten blieben sie stehen.
»Du bist jetzt wohl sauer auf mich?«, fragte Jackie.
»Ich bin nicht sauer auf dich, aber wer will sich schon sagen lassen, er werde benutzt?«
»Das hast du doch selbst gesagt.«
»Darauf wolltest du doch hinaus.«
»Es tut mir leid, dass ich dich beleidigt habe. Übrigens weiß ich auch, wie es ist, ignoriert zu werden. Ich bin also froh, dass du es mir erzählt hast.«
»In Ordnung.«
»Möchtest du auf einen Schluck Wasser mit reinkommen?«
Blue Gene nickte, in Schweiß gebadet und kurzatmig. Er drückte seine Zigarette im Rinnstein aus und hielt in beide Richtungen nach John Ausschau, doch der war nirgends zu sehen.
Blue Gene stand in einer kleinen Diele und blickte in ein makellos sauberes, feminines Zimmer mit schneeweißem Teppich und einem Tisch mit Marmorplatte, auf dem wertvolle alte Gläser standen. In diesem Zimmer gab es keinen Fernseher.
[300] »Das ist das Zimmer, das nie jemand betritt. Außer wenn Besuch kommt.«
»Schon klar. Wir haben einen Haufen solcher Zimmer«, sagte Blue Gene.
»Irgendwie ist es Verschwendung, aber wohl auch ganz nett.« Blue Gene nickte und folgte Jackie in ein Wohnzimmer, das so voll und unaufgeräumt war, dass man die Möbel kaum sah. Dieser Raum enthielt einen Fernseher, außerdem einen DVD -Spieler, einen Videorekorder und eine Stereoanlage. Jackie bat ihn, sich auf ein Sofa zu setzen, das zur Hälfte mit Post, Zeitschriften und Werbung aus der Zeitung bedeckt war. Während Jackie in die Küche ging, um für sie beide Eiswasser zu holen, sah sich Blue Gene um.
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