Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
selbstbezüglichen Aussage mit der Zahlentheorie in Verbindung zu bringen. Als Gödel den Einfall hatte, daß sich eine solche Aussage herstellen ließe, hatte er die wichtigste Hürde übersprungen. Geschaffen wurde diese Aussage dann, indem Gödel diesen einen schönen Intuitionsfunken ausarbeitete.
Wir werden in späteren Kapiteln Gödels Konstruktion sehr sorgfältig untersuchen, doch um den Leser nicht völlig im dunkeln zu lassen, will ich hier mit ein paar Strichen den Kern der Idee darstellen, in der Hoffnung, daß das, was der Leser sieht, bei ihm Ideen auslöst. Zunächst muß aber die Schwierigkeit ganz klar dargestellt werden. Mathematische Aussagen — konzentrieren wir uns auf die Zahlentheorie — betreffen die Eigenschaften ganzer Zahlen. Ganze Zahlen sind nicht Aussagen, und auch ihre Eigenschaften sind es nicht. Eine Aussage der Zahlentheorie sagt nichts aus über eine Aussage der Zahlentheorie; sie ist bloß eine Aussage der Zahlentheorie. Das ist das Problem; aber Gödel sah, daß hier mehr verborgen lag, als man auf den ersten Blick annehmen konnte.
Gödel erkannte, daß eine zahlentheoretische Aussage etwas über eine zahlentheoretische Aussage (möglicherweise sogar sich selbst) aussagen kann, wenn man nur irgendwie bewirken könnte, daß Zahlen Aussagen repräsentieren. Mit andern Worten: das Kernstück seiner Konstruktion ist die Vorstellung von einem Code. Im Gödel-Code, den man gewöhnlich als „Gödel-Numerierung“ oder „Gödelisierung“ bezeichnet, stehen die Zahlen für Symbole und Symbolfolgen. Auf diese Weise erhält jede Aussage der Zahlentheorie — eine Folge spezialisierter Symbole — eine Gödel-Nummer, etwa wie eine Telephon- oder Autonummer, mit der er bezeichnet werden kann. Und dieser Kunstgriff des Codierens macht es möglich, daß man zahlentheoretische Sätze auf zwei verschiedenen Ebenen verstehen kann: als zahlentheoretische Aussagen und auch als Aussagen über zahlentheoretische Aussagen.
Nachdem Gödel dieses Codierungsschema erfunden hatte, mußte er eine Prozedur ausarbeiten, um die Paradoxie des Epimenides in ein zahlentheoretisches System zu befördern. Was er letzten Endes von Epimenides transplantierte, lautete nicht: „Diese zahlentheoretische Aussage ist falsch“, sondern „Für diese zahlentheoretische Aussage gibt es keinen Beweis“. Das kann große Verwirrung stiften, weil man ganz allgemein von dem Begriff „Beweis“ nur vage Vorstellungen hat. Eigentlich bildet Gödels Werk nur einen Teil der lange andauernden Bemühungen der Mathematiker, sich darüber klar zu werden, was Beweise sind. Wichtig ist, festzuhalten, daß Beweise innerhalb fester Systeme von Aussagen operieren. In Gödels Fall ist das feste System zahlentheoretischer Schlüsse, auf die sich das Wort „Beweis“ bezieht, das der Principia Mathematica (P.M.), eines gigantischen Werks von Bertrand Russell und Alfred North Whitehead, das von 1910 bis 1913 veröffentlicht wurde. Deswegen sollte der Gödel-Satz G in seiner umgangssprachlichen Fassung genauer lauten:
Für diesen Satz der Zahlentheorie
gibt es im System der Principia Mathematica keinerlei Beweis.
Übrigens ist dieser Gödel-Satz G nicht Gödels Satz — so wenig wie der Satz des Epimenides die Feststellung ist: „Die Aussage des Epimenides ist eine Paradoxie.“ Wir können nun sagen, was die Entdeckung von G bewirkt. Während die Aussage desEpimenides eine Paradoxie mit sich bringt, da sie weder falsch noch richtig ist, ist der Gödel-Satz G (innerhalb P.M. ) unbeweisbar, aber wahr. Die grandiose Schlußfolgerung? Daß das System der Principia Mathematica „unvollständig“ ist — es gibt wahre zahlentheoretische Aussagen, für deren Beweis ihre Methoden zu schwach sind.
Wenn nun aber Principia Mathematica das erste Opfer dieses Schlags war, so war es gewiß nicht das letzte! Die Wendung „und verwandter Systeme“ im Titel von Gödels Abhandlung ist bedeutungsvoll; denn hätte Gödels Satz einfach auf einen Mangel im Werk Russells und Whiteheads hingewiesen, dann hätte das andere dazu anspornen können, P.M. zu verbessern, um Gödels Satz überlisten zu können. Das aber war nicht möglich. Gödels Beweis galt für jedes axiomatische System, das den Anspruch erhob, die Ziele zu erreichen, die Russell und Whitehead sich gesteckt hatten. Und eine einzige grundsätzliche Methode funktionierte für jedes einzelne System. Kurz, Gödel zeigte, daß Beweisbarkeit ein schwächerer Begriff ist als Wahrheit,
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