Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
die sich auf die Grenztheorien in der Differentialrechnung bezogen — trat eine ganz neue Gruppe auf, die noch schlimmer aussah!
Am berühmtesten ist Russells Paradoxie. Die meisten Mengen sind offensichtlich nicht Elemente ihrer selbst — zum Beispiel ist die Menge der Walrosse nicht ein Walroß, die Menge, die nur Jeanne d'Arc enthält, nicht Jeanne d'Arc (eine Menge ist keine Person) — usw. In dieser Hinsicht sind die meisten Mengen eher „nicht der Rede wert“. Indessen enthalten gewisse „sich selbst verschluckende“ Mengen sich selbst als Element, so etwa die Menge aller Mengen, oder die Menge aller Dinge außer Jeanne d'Arc usw. Es ist klar, daß jede Menge entweder „nicht der Rede wert“ oder „sich selbst verschluckend“ ist, keine Menge kann beides sein. Nun hindert uns nichts daran, R zu erfinden — die Menge aller nicht der Rede werten Mengen. Zunächst könnte R eine Erfindung sein, die nicht der Rede wert ist — aber diese Auffassung muß korrigiert werden, wenn man sich fragt: „Ist R selber eine Nicht-der-Rede-wert-Menge oder eine sich selbst verschluckende?“ Man wird feststellen, daß die Antwort lautet: „R ist weder eine Nicht-der-Rede-wert-Menge noch selbstverschluckend, denn beide Alternativen führen zu einer Paradoxie.“ Der Leser möge es versuchen!
Wenn aber R weder nicht der Rede wert noch selbstverschluckend ist, was ist es dann? Zu allermindest „pathologisch“. Aber niemand gab sich mit ausweichenden Antworten dieser Art zufrieden, und somit begann man, tiefer in die Fundamente der Mengenlehre einzudringen. Die entscheidende Frage schien zu lauten: „Was stimmt bei diesem anschaulichen Begriff der ‚Menge' nicht? Können wir eine strenge Mengentheorie errichten, die eng mit unserer Anschauung übereinstimmt, aber die Paradoxien vermeidet?“ Wie in der Zahlentheorie und der Geometrie liegt das Problem darin, die Intuition mit formalisierten oder axiomatisierten folgerichtigen Denksystemen in Einklang zu bringen.
Eine verblüffende Variante von Russells Paradoxie ist „Grellings Paradoxie“, das Adjektive anstatt Mengen verwendet. Man teile die Adjektive der deutschen Sprache in zwei Kategorien ein: die, die sich selbst beschreiben wie „dreisilbig“, „unannehmlichkeitsvoll“, „exquisit“, und die, die es nicht tun, wie „eßbar“, „unvollständig“ und „zweisilbig“. Wenn wir nun „nicht-selbstbeschreibend“ als ein Eigenschaftswort gelten lassen, in welche Klasse gehört es? Wenn es fragwürdig erscheint, solche mit Bindestrichen zusammengefügten Worte zuzulassen, können wir zwei Ausdrücke verwenden, die eigens für diese Paradoxie erfunden wurden: autologisch (selbstbeschreibend) und heterologisch (nicht selbstbeschreibend). Die Frage lautet dann: „Ist ,heterologisch‘ heterologisch?“ Der Leser versuche es!
In diesen Paradoxien steckt anscheinend immer der gleiche Haken: Selbstbezüglichkeit oder „Seltsame-Schleifen-Bildung“. Wenn man sich also das Ziel setzt, alle Paradoxien zu eliminieren, warum versucht man nicht, Selbstbezüglichkeit und alles, was dazu führen könnte, zu eliminieren? Das ist nicht so leicht wie es scheint, denn unter Umständen ist es schwierig, festzustellen, wo Selbstbezüglichkeit auftritt. Sie kann sich über eine ganze Seltsame Schleife mit verschiedenen Schritten ausbreiten wie in der „erweiterten“ Fassung des Epimenides, die an Eschers Zeichnen erinnert:
Der folgende Satz ist falsch.
Der vorhergehende Satz ist richtig.
Zusammen haben diese Sätze die gleiche Wirkung wie die ursprüngliche Paradoxie des Epimenides; jeder für sich ist aber harmlos und sogar möglicherweise nützlich. Die „Schuld“ für diese Seltsame Schleife kann nicht einem der beiden Sätze zugeschrieben werden, sondern nur der Art, wie sie gegenseitig aufeinander verweisen. Gleichermaßen ist jeder lokale Einzelteil von Treppauf, Treppab durchaus legitim, erst die Art und Weise, wie sich die Teile zu einem globalen Ganzen zusammenfügen, schafft etwas Unmögliches. Da es direkte und indirekte Möglichkeiten gibt, Selbstbezüglichkeit herzustellen, muß man ausfindig machen, wie man beide Arten gleichzeitig eliminieren kann — wenn man in der Selbstbezüglichkeit die Wurzel allen Übels sieht.
Seltsame Schleifen eliminieren
Russell und Whitehead waren dieser Ansicht, und demgemäß stellt Principia Mathematica ein Mammutunternehmen zur Ausmerzung von Seltsamen Schleifen aus der Logik, der Mengenlehre und der
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