Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
unabhängig davon, um welches axiomatische System es sich handelt.
Deshalb elektrisierte Gödels Satz die Logiker, Mathematiker und die an den Grundlagen der Mathematik interessierten Philosophen, denn er zeigte, daß kein festes System, so kompliziert es auch sei, die Komplexität der ganzen Zahlen: 0, 1, 2, 3, ... repräsentieren kann. Vielleicht sind moderne Leser darüber nicht so verdutzt wie die von 1931, da unsere Kultur inzwischen den Gödelschen Satz zusammen mit den revolutionären Vorstellungen der Relativität und der Quantenmechanik absorbiert hat und deren Botschaft, die der Philosophie eine andere Orientierung gab, das Publikum erreichte, auch wenn sie durch mehrere Schichten der Interpretation (und im allgemeinen Verwirrung) abgeschirmt wurde. Heute erwartet man allgemein „limitative“ Ergebnisse; aber 1931 kam das wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
Mathematische Logik — eine Übersicht
Will man Gödels Satz richtig einschätzen, muß man sich über seinen Kontext klar sein. Deshalb will ich jetzt versuchen, die Geschichte der mathematischen Logik vor 1931 zusammenzufassen — eine unmögliche Aufgabe. (Gute historische Darstellungen findet man bei Nagel und Newman, Kneebone und DeLong.) Das Ganze begann mit dem Versuch, die Denkprozesse beim folgerichtigen Denken zu mechanisieren. Nun hat man oft behauptet, daß folgerichtiges Denken diejenige Fähigkeit ist, die uns von allen anderen Lebewesen unterscheidet; so kommt es uns zunächst einmal etwas paradox vor, das zu mechanisieren, was von allem das Menschlichste ist. Aber sogar die alten Griechen wußten, daß folgerichtiges Denken ein strukturierter Vorgang ist und wenigstens zum Teil von angebbaren Gesetzen beherrscht wird. Aristoteles brachte die Syllogismen in ein System; Euklid kodifizierte die Geometrie; dann aber mußten viele Jahrhunderte vergehen, bis sich in der Erforschung des auf Axiomen beruhenden Denkens ein Fortschritt einstellte.
Eine der wichtigsten mathematischen Entdeckungen des neunzehnten Jahrhunderts war die, daß es verschiedene, gleichermaßen "gültige“ Geometrien gibt, wobei mit einer „Geometrie“ eine Theorie der Eigenschaften abstrakter Punkte und Geradengemeint ist. Lange Zeit hatte man angenommen, daß Geometrie das sei, was Euklid kodifiziert hatte, und daß, wenn sich auch in seiner Darstellung kleine Makel finden könnten, diese unerheblich wären und jeder wirkliche Fortschritt in der Geometrie durch den weiteren Ausbau von Euklids System erzielt werde. Diese Vorstellung wurde zertrümmert, als verschiedene Mathematiker fast gleichzeitig die nichteuklidische Geometrie entdeckten — eine Entdeckung, die die Zunft der Mathematiker schockierte, weil sie die Vorstellung, die Mathematik erforsche die wirkliche Welt, zutiefst in Frage stellte. Wie konnte es verschiedene Arten von „Punkten“ und „Geraden“ in einer einzigen Wirklichkeit geben? Heute liegt die Lösung des Dilemmas sogar für Nichtmathematiker auf der Hand, aber damals wirkte es verheerend auf die Mathematik.
Im Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts gingen die englischen Logiker George Boole und Augustus De Morgan dann mit der Kodifizierung streng deduktiver Denkmuster weit über Aristoteles hinaus. Boole betitelte sein Buch sogar „The Laws of Thought“ („Die Gesetze des Denkens“) — gewiß eine Übertreibung, aber dennoch ein wichtiger Beitrag. Lewis Carroll, der Verfasser von „Alice im Wunderland“, war von mechanisierten Methoden folgerichtigen Denkens fasziniert und erfand zahlreiche Rätsel, die mit deren Hilfe gelöst werden konnten. Gottlob Frege in Jena und Giuseppe Peano in Turin arbeiteten an einer Kombination von formalem folgerichtigem Denken und der Erforschung von Mengen und Zahlen. David Hilbert in Göttingen arbeitete an einer strengeren Formalisierung der Geometrie als der Euklids. Alle diese Bemühungen hatten die Klärung der Frage zum Ziel, was man unter „Beweis“ zu verstehen hat.
Unterdessen fanden in der klassischen Mathematik interessante Entwicklungen statt. Eine Theorie von verschiedenen Unendlichkeitsstufen, die Mengenlehre, wurde von Georg Cantor in den achtziger Jahren entwickelt. Diese Theorie war fruchtbar und schön, aber unanschaulich. Es dauerte nicht lange, bis eine Vielzahl von mengentheoretischen Paradoxien ans Tageslicht kam. Die Situation war äußerst beunruhigend, denn gerade in dem Augenblick, in dem die Mathematik sich von einer Gruppe von Paradoxien zu erholen schien — denen,
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