Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
existiert ein endliches FlooP-Programm (d. h. eine allgemein rekursive Funktion), das genau die gleichen Antworten gibt wie die Methode des vernunftbegabten Wesens.
Das bedeutet, daß öffentliche Methoden der „FlooPifikation“ unterliegen, sagt aber nichts über private Methoden. Es bedeutet nicht, daß sie unFlooPierbar sind, läßt aber zumindest die Tür offen.
Srinivasa Ramanujan
Betrachten wir als Evidenz gegen eine schärfere Fassung der Church-Turing-These den Fall eines berühmten indischen Mathematikers aus dem ersten Viertel des 20. Jahrhunderts, Srinivasa Ramanujan (1887-1920). Ramanujan (Abb. 105) stammte aus Tamilnadu, dem südlichsten Teil Indiens, und studierte auf der Highschool etwas Mathematik. Eines Tages schenkte ihm jemand, der sein mathematisches Talent erkannt hatte, ein etwas veraltetes Lehrbuch der Analysis, das Ramanujan, bildlich gesprochen, ver-
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Abb. 105 . Srinivasa Ramanujan und eine seiner seltsamen indischen Melodien.
schlang. Dann begann er, auf eigene Faust Streifzüge ins Reich der Analysis zu machen, und im Alter von 23 Jahren hatte er eine Reihe von Entdeckungen gemacht, die ihm bedeutsam erschienen. Er wußte nicht, an wen er sich wenden sollte, hörte aber etwas von einem Mathematikprofessor namens G. H. Hardy im fernen England. Ramanujan stellte seine besten Ergebnisse zusammen und schickte das ganze Paket mit einem Brief, den er mit Hilfe von Freunden auf Englisch abfaßte, dem ahnungslosen Hardy. Nachstehend einige Auszüge aus Hardys Beschreibung seiner Reaktion, als er das Paket erhielt:
... Es war mir bald klar, daß Ramanujan noch weit allgemeinere S ÄTZE in seinem Besitz haben mußte und daß er manches zurückhielt ... [Einige Formeln] erschlugen mich regelrecht; ich hatte zuvor nichts auch nur im Entferntesten Ähnliches zu Gesicht bekommen. Ein einziger Blick darauf genügte, um zu erkennen, daß nur ein Mathematiker allerhöchsten Ranges sie niedergeschrieben haben konnte. Sie mußten wahr sein, denn wären sie das nicht gewesen, so hätte kein Mensch die Phantasie besessen, sie zu erfinden. Schließlich ... mußte der Verfasser absolutehrlich sein, denn große Mathematiker sind häufiger als so unglaublich begabte Diebe und Scharlatane. 2
Das Ergebnis dieser Korrespondenz war, daß Ramanujan auf Hardys Einladung 1913 nach England kam, und darauf folgte eine intensive Zusammenarbeit, der Ramanujans früher Tod infolge von Tuberkulose im Alter von 33 Jahren ein Ende setzte.
Ramanujan hatte verschiedene charakteristische Eigenschaften, die ihn von der Mehrheit der Mathematiker unterschied. Eine war der Mangel an Strenge. Sehr oft gab er einfach das Ergebnis an, das, wie er betonte, ihm aus einer unbestimmten Quelle der Intuition weit jenseits des Bereichs der bewußten Forschung zufloß. Er behauptete oft, daß die Göttin Namagiri ihn in seinen Träumen inspiriere. Das geschah immer wieder, und was alles noch geheimnisvoller machte, ja der ganzen Angelegenheit eine gewisse mystische Note verlieh, war die Tatsache, daß viele seiner „Intuitions-S ÄTZE “ falsch waren. Nun gibt es einen merkwürdigen paradoxen Effekt, nämlich daß manchmal ein Vorgang, der, wie man meinen möchte, leichtgläubige Menschen etwas skeptischer machen müßte, tatsächlich die umgekehrte Wirkung hat, indem er den Leichtgläubigen an einem empfindlichen Punkt seines Denkens trifft und ihn mit dem Wink beunruhigt, daß es eine geheimnisvolle irrationale Seite der menschlichen Natur gibt. Das war auch der Fall mit Ramanujans Schnitzern: viele gebildete Leute, die eine gewisse Sehnsucht verspürten, solche Dinge zu glauben, betrachteten Ramanujans intuitive Kräfte als Evidenz für einen mystischen Einblick in die Wahrheit, und die Tatsache seiner Fehlbarkeit schien den Glauben zu verstärken und nicht abzuschwächen.
Natürlich schadete es nicht, daß er aus einem der rückständigsten Gebiete Indiens kam, in denen das Fakirwesen und andere Riten jahrtausendelang praktiziert wurden und noch immer praktiziert werden — wahrscheinlich in einem weit größeren Maß als höhere Mathematik. Und seine gelegentlichen falschen Ergebnisse waren für viele nicht einfach ein Zeichen dafür, daß auch er nur ein Mensch war, sondern verleiteten paradoxerweise zu der Vorstellung, daß Ramanujan dort, wo er sich getäuscht hatte, so etwas wie eine „tiefere Richtigkeit“ bewies — eine „orientalische Richtigkeit“, die vielleicht dem westlichen Geist
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