Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
So einfach war das.“ 4
Nach Ramanujans Tod wurde Hardy, der mit ihm am engsten zusammengearbeitet hatte, oft gefragt, ob ein Element des Okkulten oder sonst des Ausgefallenen in Ramanujans Denken gewesen sei. Hier einer seiner Kommentare:
Man hat mich oft gefragt, ob Ramanujan ein besonderes Geheimnis besessen habe, ob seine Methoden anders als die anderer Mathematiker gewesen seien, ob seine Denkweise nicht eigentlich abnorm gewesen sei. Ich kann diese Fragen nicht mit Zuversicht oder Überzeugung beantworten, glaube es aber nicht. Vielmehr glaube ich, daß alle Mathematiker im Grunde in der gleichen Weise denken und daß Ramanujan keine Ausnahme darstellt. 5
Hier spricht Hardy im wesentlichen seine eigene Fassung der Church-Turing-These aus. Ich paraphrasiere:
C HURCH -T URING -T HESE , H ARDYS V ERSION : Im Grunde sind alle Mathematiker isomorph.
Damit wird nicht das mathematische Potential der Mathematiker mit dem von allgemein rekursiven Funktionen gleichgesetzt; dazu muß man jedoch nur noch zeigen, daß die geistige Kapazität eines Mathematikers nicht umfassender ist als das der rekursiven Funktionen. Wenn man dann Hardys Version akzeptiert, weiß man, daß sie auf alle Mathematiker zutrifft.
Dann vergleicht Hardy Ramanujan mit mathematischen Wunderkindern:
Sein Gedächtnis und seine rechnerischen Fähigkeiten waren sehr ungewöhnlich, aber „abnorm“ konnte man sie wohl nicht nennen. Wenn er zwei große Zahlen zu multiplizieren hatte, tat er das auf die übliche Weise; er konnte das mit ungewöhnlicher Geschwindigkeit und Genauigkeit tun, aber nicht schneller und genauer als irgendein Mathematiker, der von Natur aus flink und ans Rechnen gewöhnt ist. 6
Was er als Ramanujans hervorstechendste intellektuelle Eigenschaft betrachtete, beschreibt Hardy wie folgt:
Mit seinem Gedächtnis, seiner Geduld und seiner rechnerischen Begabung kombinierte er ein Verallgemeinerungsvermögen, ein Gefühl für Form und eine Fähigkeit, seine Hypothesen rasch zu modifizieren, die oft wirklich verblüffend waren, so daß er in seiner Zeit auf seinem Gebiet ohne Rivalen war. 7
Der von mir hervorgehobene Teil dieses Passus scheint mir eine vorzügliche Charakterisierung einiger der subtilsten Eigenschaften der Intelligenz im allgemeinen zu sein. Hardy schließt etwas nostalgisch:
[Sein Werk] hat nicht die Einfachheit und die Zwangsläufigkeit von mathematischer Arbeit höchsten Ranges; es wäre größer, wäre es weniger exotisch. Er hat eine Gabe, die niemand ihm absprechen kann: tiefe und unbesiegbare Originalität.
Er wäre vermutlich ein größerer Mathematiker geworden, wäre er in seiner Jugend an die Hand genommen und etwas gezähmt worden: Er hätte mehr Neues entdeckt und ohne Zweifel Wichtigeres. Andererseits wäre er weniger er selbst, Ramanujan, gewesen, sondern eher ein europäischer Professor, und der Verlust wäre vielleicht größer gewesen als der Gewinn. 8
Die Hochachtung, die Hardy Ramanujan entgegenbrachte, zeigt sich in der romantischen Art und Weise, in der er von ihm spricht.
„Idioten-Gelehrte“
Es gibt noch eine andere Gruppe von Menschen, deren mathematische Fähigkeiten anscheinend rational nicht erklärt werden können, die sogenannten „Idioten-Gelehrten“, die im Kopf — oder wo immer sie es tun — blitzschnell komplexe Berechnungen durchführen. Johann Martin Zacharias Dase, der von 1824 bis 1861 gelebt hat und von verschiedenen europäischen Regierungen für die Ausführung von Berechnungen angestellt wurde, ist dafür ein Paradebeispiel. Er konnte nicht nur zwei je hundertstellige Zahlen im Kopf multiplizieren, er hatte auch einen unheimlichen Sinn für Mengen, d. h. er konnte ohne zu zählen „sagen“, wieviel Schafe sich auf einer Weide befanden oder wieviele Wörter ein Satz enthielt usw. bis etwa 30 — dies im Gegensatz zu den meisten von uns, die das mit einiger Sicherheit nur bis etwa 6 tun können. Übrigens war Dase kein Idiot.
Ich will die sehr faszinierenden dokumentarisch belegten Fälle von „Schnellrechnern“ hier nicht beschreiben, denn das brächte mich nur von meinem Ziel ab. Ich halte es aber für wichtig, der Vorstellung entgegenzutreten, daß sie es mittels einer geheimnisvollen, unerklärlichen Methode tun. Obgleich Menschen mit solchen Rechenbegabungen oft unfähig sind, ihr Ergebnis zu erklären, taucht immer wieder einmal jemand mit anderen Begabungen auf, der ebenfalls solche spektakuläre Fähigkeiten im Umgang mit Zahlen besitzt. Aus der
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