Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
unzugängliche Wahrheiten berührte. Was für ein anziehender, fast unwiderstehlicher Gedanke! Sogar Hardy — der der erste gewesen wäre, Ramanujan mystische Kräfte abzusprechen — schrieb einmal über einen Fehler Ramanujans: „Und doch bin ich nicht sicher, daß in einem gewissen Sinn sein Versagen nicht wunderbarer gewesen ist als alle seine Triumphe.“
Die andere hervorragende Eigenschaft von Ramanujans mathematischer Persönlichkeit war seine „Freundschaft mit ganzen Zahlen“, wie sein Kollege Littlewood es nannte. Das ist eine Eigenschaft, die sich in verschiedenem Maß bei ziemlich vielen Mathematikern findet, die aber Ramanujan in besonderem Maß besaß. Es gibt einige Anekdoten, die diese besondere Fähigkeit belegen. Die erste stammt von Hardy:
Ich erinnere mich, daß ich ihn eines Tags besuchen ging, als er in Putney krank im Bett lag. Ich war im Taxi Nr. 1729 gekommen und erwähnte, daß mir diese Zahl ziemlich langweilig vorkäme und ich hoffte, das sei kein ungünstiges Vorzeichen. „Nein“, antwortete er, „es ist eine sehr interessante Zahl, nämlich die kleinsteZahl, die sich auf zwei verschiedene Arten als die Summe zweier Dreierpotenzen darstellen läßt.“ Ich fragte ihn natürlich, ob er die Antwort auf das entsprechende Problem für Viererpotenzen wisse, und nach kurzem Nachdenken sagte er, ohne weiteres falle ihm kein Beispiel ein, aber er glaube, die erste derartige Zahl müßte sehr groß sein. 2
Es zeigt sich, daß die Lösung für Viererpotenzen lautet:
635318657 = 134 4 + 133 4 = 15 4 + 59 4
Der Leser findet es vielleicht interessant, sich an dem entsprechenden Problem für Zweierpotenzen zu versuchen — es ist viel leichter.
In der Tat ist es sehr interessant, darüber nachzudenken, warum Hardy sofort auf die vierte Potenz überging. Schließlich gibt es verschiedene andere einigermaßen natürliche Verallgemeinerungen der Gleichung
u 3 + v 3 = x 3 + y 3
in verschiedenen Dimensionen, so zum Beispiel die Frage, wie eine Zahl auf drei verschiedene Arten als Summe zweier Dreierprotenzen dargestellt werden kann:
r 3 + s 3 = u 3 + v 3 = x 3 + y 3
Oder man kann drei verschiedene Dreierpotenzen verwenden:
u 3 + v 3 + w 3 = x 3 + y 3 + z 3
Oder man kann sogar eine „Umfassende Verallgemeinerung“ in allen Dimensionen zugleich vornehmen:
r 4 + s 4 + t 4 = u 4 + v 4 + w 4 = x 4 + y 4 + z 4
In einem bestimmten Sinn ist jedoch Hardys Verallgemeinerung die „mathematischste“. Ob sich ein solches Gefühl für mathematische Ästhetik jemals programmieren lassen wird?
Die zweite Anekdote entnehme ich der von seinem Landsmann S. R. Ranganathan verfaßten Biographie, in der die Begebenheit als „Ramanujans Blitz“ bezeichnet wird. Die Anekdote wird überliefert von einem indischen Freund Ramanujans aus seinen Cambridger Tagen, P. C. Mahalanobis:
Ein anderes Mal ging ich auf sein Zimmer, um mit ihm zu Mittag zu essen. Kurz zuvor war der Erste Weltkrieg ausgebrochen. Ich hatte ein Exemplar der Monatsschrift „Strand Magazine“ in der Hand, die damals eine Anzahl von Denksportaufgaben zu publizieren pflegte, die der Leser lösen sollte. Ramanujan rührte etwas auf dem Feuer für unsere Mahlzeit. Ich saß nahe am Tisch, blätterte in der Zeitschrift und begann, mich für ein Problem zu interessieren, das eine Beziehung zwischen zwei Zahlen zum Gegenstand hatte. Die Einzelheiten habe ich vergessen, aber ich entsinne mich der Art des Problems. Zwei englische Offiziere waren in Paris in zwei verschiedenen Häusern in einer langen Straße einquartiert. Die Hausnummern standen in einer besonderen Beziehung zueinander; das Problem war, diebeiden Zahlen zu finden. Schwierig war das keinesfalls; ich fand die Lösung nach ein paar Minuten des Herumprobierens.
M AHALANOBIS (scherzend): „Hier ist ein Problem für Sie.“
R AMANUJAN : „Was für ein Problem?“ (Er rührte weiter in seinem Topf.)
Ich las das Problem aus dem „Strand Magazine“ vor.
R AMANUJAN : „Bitte notieren Sie die Lösung.“ (Er diktierte einen Kettenbruch.)
Der erste Term war die Lösung, die ich gefunden hatte, jeder weitere Term stellte sukzessive Lösungen für die gleiche Beziehung dar, wenn die Straße unendlich verlängert wurde. Ich war erstaunt.
M AHALANOBIS : „Kam Ihnen die Lösung blitzartig?“
R AMANUJAN : „Sobald ich das Problem gehört hatte, war mir klar, daß die Lösung offensichtlich ein Kettenbruch war; dann dachte ich: welcher Kettenbruch? — und die Antwort fiel mir ein.
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