Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
formalen Systemen, die sie gebrauchen und publizieren, unweigerlich an eine Interpretation. Ihre Absicht ist es, ein formales System zu etablieren, dessen S ÄTZE isomorph einen Teilbereich der Wirklichkeit wiedergeben. In solchen Fällen ist die Wahl der Symbole stark motiviert, genauso wie die Wahl typographischer Erzeugungsregeln. Als ich das pg-System entwarf, befand ich mich in dieser Lage. Sie sehen nun, warum ich gerade diese Symbole wählte. Es ist kein Zufall, daß die S ÄTZE der Addition isomorph sind: Es geschah, weil ich absichtlich eine Methode suchte, die die Addition typographisch widerspiegelt.
Bedeutungsleere und bedeutungstragende Interpretationen
Sie können andere Interpretationen als meine wählen. Sie brauchen nicht jeden S ATZ wahr sein zu lassen. Es hätte aber sehr wenig Sinn, eine Interpretation vorzunehmen, in der z. B. alle S ÄTZE sich als falsch erwiesen, und gewiß noch weniger eine, bei der überhaupt keine Korrelation, weder positiv noch negativ, zwischen den S ÄTZEN und der Wahrheit bestünde. Nehmen wir somit eine Unterscheidung zwischen zwei Interpretationstypen eines formalen Systems vor. Zunächst kann es eine bedeutungsleere Interpretation geben, also eine, bei der wir keine isomorphe Beziehung zwischen den S ÄTZEN des Systems und der Wirklichkeit erkennen. Solche Interpretationen sind in Hülle und Fülle vorhanden — irgendeine Zufallsauswahl genügt; z. B.:
p
Pferd
g
glücklich
−
Apfel
Nun erhält −p−g−− eine neue Interpretation: „Apfel Pferd Apfel glücklich Apfel Apfel“ — eine poetische Wendung, die vielleicht Pferden zusagt und sie vielleicht sogar dazu bringt, dieser Interpretation von pg-Ketten den Vorzug zu geben. Indessen hat diese Interpretation sehr wenig Bedeutung; denn so interpretiert klingen die S ÄTZE weder besser noch wahrer als Nicht-S ÄTZE . Ein Pferd mag „glücklich glücklich glücklich Apfel Pferd“ (auf ggg−p abgebildet) wie jeden anderen interpretierten S ATZ genießen.
Die andere Art der Interpretation nennen wir bedeutungstragend. Bei einer solchen korrespondieren S ÄTZE und Wahrheiten — d. h., zwischen S ÄTZEN und einem gewissen Teil der Wirklichkeit besteht eine Isomorphie. Deshalb ist es nützlich, zwischen Interpretationen und Bedeutungen zu unterscheiden. Irgendein x-beliebiges Wort kann als Interpretation von „ p “ verwendet werden, aber „plus“ ist die einzige bedeutungstragende Wahl, auf die wir gestoßen sind. Kurz, die Bedeutung von „ p “ ist anscheinend „plus“, wenn auch Millionen anderer Interpretationen möglich sind.
Aktive Bedeutungen — passive Bedeutungen
Zu Ende gedacht, ist die wichtigste Tatsache in diesem Kapitel vielleicht die: Das pg-System scheint uns zu der Erkenntnis zu zwingen, daß Symbole eines formalen Systems, obgleich ursprünglich ohne Bedeutung, notgedrungen so etwas wie „Bedeutung“ annehmen, zumindest wenn eine Isomorphie festgestellt worden ist. Der Unterschied zwischen der Bedeutung innerhalb eines formalen Systems und der innerhalb einer Sprache ist jedoch sehr wichtig. Er besteht aus folgendem: Wenn wir die Bedeutung eines Wortes in einer Sprache gelernt haben, machen wir neue, auf der Bedeutung dieses Wortes beruhende Aussagen. Die Bedeutung wird gewissermaßen aktiv , da sie eine neue Regel für die Erzeugung von S ÄTZEN schafft. Das heißt, daß unsere Beherrschung einer Sprache nicht einem Fertigprodukt vergleichbar ist: Die Erzeugungsregeln nehmen zu, wenn wir neue Bedeutungen lernen. In einem formalen System jedoch sind die S ÄTZE durch die Erzeugungsregeln vordefiniert. Wir können „Bedeutungen“ wählen, die auf einer Isomorphie (falls wir eine finden können) zwischen S ÄTZEN und wahren Aussagen beruhen. Das gibt uns aber nicht die Freiheit, den gefundenen S ÄTZEN neue S ÄTZE hinzuzufügen. Das ist es, wovor uns die Formalitätsbedingungen in Kapitel I gewarnt haben.
Im MIU-System gab es natürlich keine Versuchung, über die vier Regeln hinauszugehen, weil eine Interpretation weder gesucht noch gefunden wurde. In unserem neuen System jedoch könnte man sich durch die neugefundene „Bedeutung“ jedes Symbols dazu verleiten lassen, die Kette als S ATZ aufzufassen. Zumindest könnte man wünschen, daß diese Kette ein S ATZ sei. Aber Wünschen ändert nichts an der Tatsache, daß sie es nicht ist. Und ein ernsthafter Fehler wäre es, zu meinen, daß diese Kette ein S ATZ sein „muß“, bloß weil 2 plus 2 plus 2 plus 2 gleich 8 ist. Es
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