Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
daran.
Der Konflikt zwischen den beiden Gesichtspunkten wird noch deutlicher, wenn man das Problem der Berechnung von 987654321 × 123456789 betrachtet: zunächst ist es praktisch unmöglich, das entsprechende Rechteck zu zeichnen und, was nochschlimmer ist, sogar wenn es gezeichnet wäre und wenn ganze Armeen jahrhundertelang die kleinen Quadrate zählten, würde nur ein sehr leichtgläubiger Mensch der Antwort Glauben schenken: Es ist eben mehr als wahrscheinlich, daß irgend jemand irgendwie irgendwo ein kleines bißchen gepfuscht hat. Würde man aber jemals die Antwort wissen können? Wenn wir dem symbolischen Verfahren vertrauen, das die Manipulation von Ziffern nach gewissen einfachen Regeln erfordert, dann ja. Dieses Verfahren wird den Kindern als ein Mechanismus vorgelegt, der die richtige Antwort liefert; was vielen Kindern dabei verloren geht, ist der Grund, warum er das tut. Die Gesetze der Multiplikation für die Verschiebung von Ziffern basieren zum größten Teil auf einigen wenigen Eigenschaften der Addition und Multiplikation, von denen wir annehmen, daß sie für alle Zahlen gültig sind.
Die Grundgesetze der Arithmetik
Was für eine Annahme ich im Auge habe, wird aus dem folgenden klar. Legen wir ein paar Stöcke hin:
/ / / / / / / / /
Nun zählen wir sie. Zur gleichen Zeit zählt sie jemand anders, aber er beginnt am anderen Ende. Ist es klar, daß die beiden dieselbe Antwort erhalten? Das Ergebnis des Zählprozesses ist unabhängig von der Art und Weise, wie gezählt wird. Das ist in Wirklichkeit eine Annahme darüber, was Zählen ist. Der Versuch, es zu beweisen, wäre sinnlos, weil es so fundamental ist. Entweder sieht man's oder man sieht's nicht aber in diesem letzteren Falle würde ein Beweis nicht das geringste helfen.
Aus Annahmen dieser Art ergeben sich die Kommutativität und die Assoziativität der Addition (d. h. erstens, daß immer gilt: b + c = c + b, und zweitens: b + (c + d) = (b + c) + d). Dieselbe Annahme kann auch zu der Kommutativität und Assoziativität der Multiplikation führen; man denke einfach an viele Würfel, die so zusammengefügt sind, daß sie einen großen rechtwinkligen Körper ergeben. Multiplikative Kommutativität und Assoziativität ergeben sich einfach aus der Annahme, daß wenn man einen Körper auf verschiedene Weise dreht, die Anzahl der Würfel sich nicht verändert. Nun lassen sich diese Annahmen nicht immer verifizieren, da die Anzahl solcher Fälle unendlich ist. Wir nehmen sie als gegeben an, wir glauben (wenn wir überhaupt an sie denken) mit so tiefer Überzeugung an sie, wie wir an irgendetwas glauben können. Der Geldbetrag in unserer Hosentasche ändert sich nicht, wenn wir die Straße hinuntergehen und damit herumspielen; die Anzahl der Bücher, die wir besitzen, ändert sich nicht, wenn wir sie in eine Kiste packen, diese in unsern Wagen laden, hundert Kilometer fahren, die Kiste abladen, sie auspacken, und die Bücher auf einem neuen Regal aufstellen. All das ist ein Teil von dem, was wir unter Zahl verstehen.
Es gibt gewisse Leute, denen es Spaß macht, sobald eine unbestreitbare Tatsache festgestellt worden ist, zu zeigen, warum diese „Tatsache“ eben doch falsch ist. Ich gehöre zu ihnen, und sobald ich die obigen Beispiele mit Stöcken, Geld und Büchern
Abb. 13 . Befreiung , von M. C. Escher (Lithographie, 1955).
niedergeschrieben hatte, erfand ich Situationen, in denen sie falsch waren. Vielleicht hat der Leser das gleiche getan. Das zeigt ganz einfach, daß Zahlen als Abstraktionen etwas ganz anderes sind als die Zahlen, die wir im täglichen Leben gebrauchen.
Die Menschen erfinden gerne Aussagen, die die grundlegenden arithmetischen Gesetze verletzen, aber „tiefere“ Wahrheiten enthalten, z. B. „1 plus 1 gibt 1“ (Liebende), oder „1 plus 1 plus 1 gibt 1“ (Dreieinigkeit). Solche Aussagen kann man leicht widerlegen, z. B. indem man zeigt, warum die Verwendung des Pluszeichens in beiden Fällen unstatthaft ist. Aber solche Beispiele gibt es in Hülle und Fülle. Zwei Regentropfen rinnen eine Fensterscheibe hinunter und laufen zusammen; gibt eins plus eins eins? Eine Wolke trennt sich in zwei Wolken — ist das weitere Evidenz? Es ist keineswegs leicht, einen scharfen Trennungsstrich zwischen den Fällen zu ziehen, in denen man von „Addition“ sprechen könnte, und denen, bei denen ein anderes Wort angemessen wäre. Wenn man über die Frage nachdenkt, kommt man vermutlich auf irgendein Kriterium,
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