Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
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Es ist jedoch klar, daß wir, was formale Systeme anbelangt, noch kaum die Oberfläche geritzt haben. Es ist natürlich, sich zu fragen, welcher Teil der Wirklichkeit sich durch eine Anzahl bedeutungsleerer Symbole, die formalen Regeln gehorchen, nachahmen läßt. Läßt sich die Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit in ein formales System verwandeln? In einem sehr allgemeinen Sinn könnte die Antwort anscheinend „ja“ lauten. Man könnte z. B. annehmen, daß die Wirklichkeit selber nichts anderes sei, als ein einziges sehr kompliziertes formales System. Seine Symbole bewegen sich nicht auf dem Papier, sondern vielmehr in einem dreidimensionalen Vakuum (Raum); sie sind die Elementarteilchen, aus denen sich alles zusammensetzt. (Stillschweigende Annahme: daß die absteigende Kette von der Materie einmal ein Ende nimmt, so daß der Ausdruck „Elementarteilchen“ einen Sinn hat.) Die „typographischen Regeln“ sind die physikalischen Gesetze, die angeben, wie, wenn Position und Geschwindigkeit aller Teilchen in einem bestimmten Augenblick gegeben sind, diese modifiziert werden können, so daß sich neue Positionen und Geschwindigkeiten ergeben, die zum „nächsten“ Augenblick gehören. So sind also die S ÄTZE dieses großen formalen Systems die möglichen Konfigurationen von Teilchen zu verschiedenen Zeitpunkten in der Geschichte des Universums. Das einzige Axiom ist (oder vielleicht war) die ursprüngliche Konfiguration aller Teilchen „zu Beginn der Zeit“. Das ist indessen eine so überwältigende Vorstellung, daß sie nur von ganz theoretischem Interesse ist; überdies läßt die Quantenmechanik (und lassen andere Bereiche der Physik) selbst den theoretischen Wert dieser Vorstellung etwas zweifelhaft erscheinen. Im Grunde fragen wir, ob das Universum deterministisch angelegt ist — diese Frage bleibt offen.
Mathematik und Manipulation von Symbolen
Anstatt uns mit solch einem überdimensionierten Bild zu beschäftigen, beschränken wir uns auf die Mathematik als unsere „wirkliche Welt“. Hier erhebt sich eine wichtige Frage: Wie können wir sicher sein, daß wir unsere Aufgabe genau erfüllt haben, wenn wir ein formales System, das einem Teilbereich der Mathematik entspricht, gebildet haben — zumal , wenn wir mit diesem Teilbereich nicht bereits vollständig vertraut sind? Angenommen, Zweck des formalen Systems sei, uns neue Einsichten in diesem Bereich zu vermitteln. Wie können wir wissen, daß die Interpretation jedes S ATZES richtig ist, wenn wir nicht nachgewiesen haben, daß vollkommene Isomorphie vorliegt? Und wie können wir nachweisen, daß die Isomorphie vollkommen ist, wenn wir nicht von vornherein die gesamte Wahrheit in diesem Teilbereich kennen?
Nehmen wir an, daß wir bei irgendwelchen Ausgrabungen tatsächlich ein geheimnisvolles formales System auffinden. Wir könnten es mit verschiedenen Interpretationen versuchen und vielleicht schließlich auf eine stoßen, bei der sich jeder S ATZ als richtig entpuppte, und jeder Nicht-S ATZ als falsch. Das ist aber etwas, was wir nur in einer endlichen Zahl von Fällen unmittelbar prüfen könnten. Die Zahl der S ÄTZE ist mit großer Wahrscheinlichkeit unendlich. Wie können wir wissen, daß alle so interpretierten S ÄTZE Wahrheiten ausdrücken, wenn wir nicht alles wissen, was wir sowohl über das formale System wie auch über den entsprechenden Interpretationsbereich wissen können?
Etwa in dieser merkwürdigen Situation werden wir uns befinden, wenn wir versuchen, die Wirklichkeit der natürlichen Zahlen (d. h. der nicht-negativen ganzen Zahlen: 0, 1, 2, ...) mit den typographischen Symbolen eines formalen Systems zu paaren. Wir werden versuchen, die Beziehung zwischen dem, was wir in der Zahlentheorie „Wahrheit“ nennen, und dem, was wir durch Symbolmanipulation gewinnen, zu verstehen.
Betrachten wir aber kurz die Grundlage, auf der wir gewisse S ÄTZE der Zahlentheorie als wahr und andere als falsch bezeichnen. Wieviel ist 12 mal 12? Jedermann weiß es: 144. Aber wie viele von denen, die so antworten, haben tatsächlich einmal ein Quadrat von Seitenlänge 12 gezeichnet und dann die kleinen Quadrate gezählt? Den meisten käme die Zeichnung und das Zählen unnötig vor. Sie würden statt dessen als Beweis ein paar Striche auf einem Papier vorlegen:
12 × 12
12
24
144
Und das wäre der „Beweis“. Fast jedermann glaubt, daß man 144 erhält, wenn man die Quadrate zählt. Wenig Menschen zweifeln
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