Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
philosophische Frage, denn sie drängt sich überall ins Leben. Man sieht sich einer riesigen Anzahl von Wahlmöglichkeiten gegenüber, wie man Beweise in jedem Augenblick interpretiert. Man kann kaum eine Buchhandlung (oder heutzutage gar ein Kaufhaus!) betreten, ohne Bücher zu finden über Hellsehen, ASW, fliegende Untertassen, das Bermuda-Dreieck, Astrologie, Rutengänger, ob Evolution oder Schöpfung, schwarze Löcher, Psi-Felder, Bio-Feedback, Transzendentale Meditation, neue Theorien der Psychologie ... In den Naturwissenschaften wird wild debattiert über Katastrophentheorie, die Theorie der Elementarteilchen, freien Willen, Artifizielle Intelligenz, Reduktionismus contra Holismus ... Auf der mehr pragmatischen Seite des Lebens finden Debatten statt über die Wirksamkeit von Vitamin C oder von Krebsheilmitteln, über den wirklichen Umfang der Ölreserven (entweder noch nicht gefördert oder gespeichert), darüber, was Inflation und Arbeitslosigkeit verursacht usw. Da gibt es Buckminster-Fullerismus, Zen-Buddhismus, Zenos Paradoxien, Psychoanalyse usw. usw. In so trivialen Fragen wie der, wo Bücher in einem Laden aufzustellen sind, bis zu so entscheidenden Fragen, welche Ideen man die Kinder in der Schule lehren solle, spielt die Art, wie man Beweise interpretiert, eine gar nicht zu unterschätzende Rolle.
Sich selbst sehen
Eines der schwierigsten aller Probleme bei der Interpretation von Beweisen ist der Versuch, all die verwirrenden, von außen kommenden Signale, wer man selbst denn ist, zu deuten. In diesem Fall sind die Konfliktmöglichkeiten auf der gleichen Stufe oder zwischen verschiedenen Stufen riesig. Die psychischen Mechanismen müssen sich gleichzeitig mit den inneren Bedürfnissen des einzelnen nach Selbsteinschätzung und dem ständigen, die Ansicht des Ich von sich selbst beeinflussenden Beweisfluß von außen beschäftigen. Das Ergebnis ist, daß Information in einem komplexen Strudel zwischen verschiedenen Ebenen der Persönlichkeit fließt; während sie sich um sich dreht, werden Teile davon vergrößert, reduziert, verneint oder sonst irgendwie verzerrt, und die Teile ihrerseits sind der gleichen Art von Strudel ausgesetzt — immer und immer wieder. All das ist ein Versuch, das, was ist, mit dem zu versöhnen, von dem wir wünschen, daß es sei (siehe Abb. 81 ).
Das Ergebnis ist, daß das Gesamtbild des „Wer bin ich“ auf äußerst komplexe Weise in der gesamten geistigen Struktur integriert ist, und in jedem von uns eine große Anzahl von ungelösten, vielleicht gar nicht zu lösenden Widersprüchen enthält. Diese liefern einen großen Teil der dynamischen Spannung, die für den Menschen so bezeichnend ist. Aus diesen Spannungen zwischen der inneren und der äußeren Vorstellung darüber, wer wir sind, erwachen die Triebkräfte auf verschiedene Ziele hin, die jeden von uns einzigartig machen. Ironischerweise führt etwas, das uns allen gemeinsam ist — die Tatsache, daß wir über uns selbst nachdenkende Wesen sind — zu der reichen Vielfalt an Möglichkeiten, die wir haben, um Beweise für alle möglichen Dingen zu internalisieren, und stellt schließlich eine der wichtigsten Kräfte bei der Schöpfung einzelner Individuen dar.
Gödels Satz und andere Disziplinen
Es ist nur natürlich, Parallelen zwischen Menschen und hinlänglich komplexen formalen Systemen zu ziehen, die, wie Menschen, eine Art Vorstellung ihrer selbst haben. Gödels Satz zeigt, daß widerspruchsfreie formale Systeme mit Abbildungen ihrer selbst auf grundsätzliche Grenzen stoßen. Aber gilt das allgemein? Gibt es zum Beispiel einen „Gödelsatz der Psychologie“?
Verwendet man Gödels Satz eher als Metapher, als eine Inspirationsquelle, und versucht man nicht, ihn wörtlich in die Sprache der Psychologie oder einer anderen Wissenschaft zu übersetzen, dann kann er vielleicht in der Psychologie und in anderen Bereichen auf neue Wahrheiten deuten. Doch ist es durch nichts zu rechtfertigen, ihn unmittelbar in eine Aussage einer anderen Disziplin zu übersetzen und dann alles als im gleichen Maße gültig zu betrachten. Zu glauben, daß etwas, das mit der größten Sorgfalt in der mathematischen Logik ausgearbeitet worden ist, ohne Modifikation in einem völlig anderen Bereich Gültigkeit hätte, ist ein schwerer Irrtum.
Introspektion und Wahnsinn — ein Gödelsches Problem
Ich glaube, daß die Übersetzung von Gödels Satz in andere Bereiche als Anregung wertvoll sein kann, vorausgesetzt, daß man von
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