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Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band

Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band

Titel: Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas R. Hofstadter
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verfügt. Darauf können wir aufbauen und neue Methoden für die Interpretation von Beweisen anhäufen; wir lernen sogar, wie und wann wir unsere grundlegenden Interpretationsmechanismen stillzulegen haben, wie man das ja tun muß, wenn man z. B. hinter Zaubertricks kommen will.
    Konkrete Beispiele für derartige Beweisschwierigkeiten treten bei vielen Phänomenen der Grenzwissenschaften auf. Zum Beispiel tritt ASW oft außerhalb von Laboratorien auf, verschwindet aber auf geheimnisvolle Weise, wenn man sie ins Laboratorium hineinbringt. Die gängige wissenschaftliche Erklärung ist die, daß ASW ein unwirkliches Phänomen ist, das strenger Prüfung nicht standhält. Einige (beileibe nicht alle) ASW-Gläubige haben jedoch eine seltsame Methode der Verteidigung. Sie sagen: „Nein, ASW gibt es wirklich; sie geht einfach weg, wenn man versucht, es wissenschaftlich zu beobachten. Sie läuft dem wissenschaftlichen Weltbild zuwider.“ Das ist eine erstaunlich unverschämte Technik, die wir „das Problem die Treppe hinaufkicken“ nennen könnten. Was bedeutet, daß man, anstatt den vorliegenden Tatbestand in Frage zu stellen, Theorien anzweifelt, die auf eine höhere Ebene der Glaubwürdigkeit gehören. Die ASW-Gläubigen deuten an, daß es nicht ihre Ideen sind, mit denen etwas nicht stimmt, sondern das wissenschaftliche Glaubenssystem. Das ist eine recht hochfahrende Behauptung, und wenn man nicht im Besitz überwältigender Beweise ist, sollte man skeptisch sein. Aber da reden wir schon wieder von „überwältigenden Beweisen“, als ob alle sich einig wären, was das bedeutet!
Das Wesen des Beweises
    Die Sagredo-Simplicio-Salviati-Verwicklung (Kapitel XIII und XV) bietet ein weiteres Beispiel, wie komplex die Auswertung von Beweisen sein kann. Sagredo versucht, wenn möglich einen objektiven Kompromiß zwischen entgegengesetzten Ansichten von Simplicio und Salviati zu finden. Ein Kompromiß ist freilich nicht immer möglich. Wie kann man auf „faire“ Weise zwischen richtig und falsch unterscheiden? Wie zwischen fair und unfair? Wie zwischen Kompromiß und Nichtkompromiß? Diese Fragen tauchen immer wieder in verkleideter Form in Debatten über alltägliche Dinge auf.
    Ist es möglich, „Beweis“ zu definieren? Ist es möglich, Gesetze aufzustellen, wie man den Sinn einer Situation erkennen kann? Wahrscheinlich nicht, denn alle starrenRegeln hätten ohne Zweifel ihre Ausnahme, und Regeln, die nicht starr sind, sind keine. Auch der Besitz eines intelligenten AI-Programms würde das Problem nicht lösen, denn es wäre als Beweis-Prozessor nicht weniger fehlbar als Menschen. Wenn also, „Beweis“ etwas Ungreifbares ist, warum warne ich vor neuen Wegen in der Interpretation von Beweisen? Bin ich widerspruchsvoll? Nicht in diesem Fall. Ich bin der Auffassung, daß es Leitlinien gibt, die man setzen kann, und daß daraus eine organische Synthese möglich ist. Unvermeidlicherweise muß aber eine gewisse Portion Urteilskraft und Intuition ins Spiel kommen — Dinge, die bei verschiedenen Menschen verschieden sind. Sie werden auch bei verschiedenen AI-Programmen verschieden sein. Letzten Endes gibt es für die Entscheidung, ob eine Beweis-Auswertungsmethode gut ist, komplizierte Kriterien. Eines hat mit der „Nützlichkeit“ von Ideen zu tun, die man durch derartiges folgerichtiges Denken erreicht. Eine Denkweise, die zu sinnvollen neuen Dingen im Leben führt, wird in einem gewissen Sinn als „gültig“ betrachtet werden. Dieses Wort „sinnvoll“ jedoch ist äußerst subjektiv.
    Ich neige zur Ansicht, daß die Verfahren, mit denen wir entscheiden, was gültig oder was wahr ist, eine Kunst sind, und daß sie so stark auf einem Sinn für Schönheit und Schlichtheit beruhen wie auf felsenfesten logischen Grundsätzen oder folgerichtigem Denken oder wie etwas, das objektiv formalisiert werden kann. Ich behaupte nicht, daß 1) Wahrheit eine Schimäre ist oder daß 2) die menschliche Intelligenz grundsätzlich nicht programmierbar ist. Ich sage jedoch: 1) Wahrheit ist zu schwierig zu fassen, als daß ein Mensch oder eine Gruppe von Menschen sie jemals völlig erreicht, und 2) wenn Artifizielle Intelligenz das Niveau der menschlichen erreicht oder sogar noch übertrifft, sie immer von dem Problem der Kunst, der Schönheit, der Schlichtheit, zu kämpfen haben und bei ihrer eigenen Suche nach Wissen und Verstehen fortwährend gegen diese Dinge anrennen wird.
    „Was ist ein Beweis?“ ist nicht einfach eine

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