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Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band

Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band

Titel: Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas R. Hofstadter
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bin widerspruchsvoll. (Das letztere ist bei weitem wahrscheinlicher, aber um der Vollständigkeit willen ziehe ich beide Möglichkeiten in Betracht.) Bin ich widerspruchsfrei, dann gibt es zwei Möglichkeiten: 1) den „Low-Fidelity“-Fall: Meine Selbsterkenntnis liegt unter einem gewissen kritischen Punkt. In diesem Fall bin ich gemäß der Hypothese unvollständig. 2) Der „High-Fidelity“-Fall: Meine Selbsterkenntnis hat den kritischen Punkt erreicht, an dem die metaphorische Analogie der einschränkenden Sätze Gültigkeit erlangt, so daß mein Selbstverständnis sich auf Gödelsche Art unterminiert und ich aus diesem Grunde unvollständig bin. Fall 1) und 2) setzen voraus, daß ich zu hundert Prozent widerspruchsfrei bin — ein recht unwahrscheinlicher Tatbestand. Sehr viel wahrscheinlicher ist, daß ich widerspruchsvoll bin was aber noch schlimmer ist, denn dann trage ich Widersprüche in mir, und wie werde ich das jemals verstehen?
    Widerspruchsfrei oder nicht — niemand kann sich dem Geheimnis des Selbst entziehen. Wahrscheinlich sind wir alle widerspruchsvoll. Die Welt ist einfach zu kompliziert, als daß ein Mensch sich den Luxus leisten könnte, alle seine Ansichten miteinander in Einklang zu bringen. Spannung und Verwirrung sind wichtig in einer Welt, in der rasche Entscheidungen getroffen werden müssen. Miguel de Unamuno hat einmal gesagt: „Wenn ein Mensch sich nie widerspricht, dann muß das daher kommen, daß er nichts sagt.“ Ich würde sagen, daß wir alle im gleichen Boot sitzen, wie der Zenmeister, der, nachdem er sich mehrere Male hintereinander selbst widersprochen hatte, zu dem verwirrten Doko sagte: „Ich kann mich selbst nicht verstehen.“
Gödels Satz und persönliche Nicht-Existenz
    Vielleicht der größte Widerspruch in unserem Leben und der, mit dem wir am schwierigsten fertig werden, ist die Gewißheit: „Es gab eine Zeit, da ich nicht am Leben war, und es wird eine Zeit kommen, da ich nicht mehr am Leben bin.“ Auf einer Ebene ist es durchaus sinnvoll, „aus sich herauszugehen“ und sich einfach als ein „willkürliches anderes menschliches Wesen“ zu sehen. Auf einer anderen Ebene jedoch, vielleicht auf einer tieferen, ist die Frage nach der Nicht-Existenz des Menschen völlig sinnleer. Alles, was wir wissen, ist in unserem Geist eingebettet, und daß all das nicht zum Universum gehören soll, ist unbegreiflich. Dies ist ein grundsätzliches, nicht wegzuleugnendes Problem des menschlichen Lebens; vielleicht ist es beste metaphorische Analogie zu Gödels Satz. Beim Versuch, sich seine eigene Nicht-Existenz vorzustellen, muß man sich bemühen, aus sich selbst herauszutreten, indem man sich auf jemand anderen abbildet. Man hält sich selbst zum Narren und glaubt, man könne die Ansicht eines Außenseiters von sich in sich selbst hineintragen, ganz so, wie TNT „glaubt“, daß sich seine eigene Metatheorie in sich selber spiegele. TNT jedoch enthält seine eigene Metatheorie nur bis zu einem gewissen Grad, nicht vollständig. Und ein Mensch kann sich zwar einbilden, er sei aus sich selbst herausgesprungen, kann es aber tatsächlich niemals tun — so wenig wie Eschers Drache aus seiner zweidimensionalen Ebene in den dreidimensionalen Raum springen kann. Auf jeden Fall ist dieser Widerspruch so groß, daß wir ihn den größten Teil unseres Lebens unter den Teppich wischen können, weil der Versuch, damit fertig zu werden, nirgends hinführt.
    Auf der anderen Seite schwelgen Zen-Beflissene in dieser Unvereinbarkeit, und immer stellen sie sich dem Konflikt zwischen östlichem Glauben: „Die Welt und ich sind eins, deshalb ist die Vorstellung, ich könnte zu existieren aufhören, ein Widerspruch in sich selbst ...“ (meine Verbalisierung ist ohne Zweifel sehr verwestlicht — die Zenisten mögen verzeihen), und westlichem Glauben: „Ich bin einfach ein Teil dieser Welt, und ich werde sterben, die Welt aber wird ohne mich weitergehen.“
Wissenschaft und Dualismus
    Den Naturwissenschaften wirft man oft vor, sie seien „zu westlich“ oder „dualistisch“ — das heißt durchsetzt von der Dichotomie zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Beobachter und Beobachtetem. Während es zutrifft, daß die Naturwissenschaften sich bis in dieses Jahrhundert hinein ausschließlich mit Dingen beschäftigten, die sich ohne weiteres von den sie beobachtenden Menschen unterscheiden lassen — Sauerstoff und Kohle, Licht und Wärme, Fixsterne und Planeten, Beschleunigung und Umlaufbahnen

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