Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
verfehlt ist, dann ist die ästhetische Bewertung irrelevant. Man sollte den Wert einer Klaviersonate so wenig beurteilen wie den eines Steines, eines Gewitters, eines Seesterns. „Kategorische Aussagen wie etwa richtig und falsch, schön und häßlich, typisch für das rationalistische Denken der tonalen Ästhetik“, schreibt Luciano Berio [ein zeitgenössischer Komponist], „taugen nicht mehr für das Verständnis, warum und wie ein Komponist mit hörbaren Formen und musikalischen Aktionen arbeitet.“
Später fährt Meyer fort, die philosophische Position des Transzendentalismus zu beschreiben:
... alle Dinge in Zeit und Raum sind unauflöslich miteinander verknüpft. Irgendwelche im Universum entdeckten Einteilungen, Klassifizierungen, Anordnungen sind willkürlich. Die Welt ist ein komplexes, kontinuierliches, einmaliges Ereignis. [Man erinnere sich an Zeno.]
Der Ausdruck „Transzendentalismus“ ist mir zu unhandlich für diese Bewegung. An seiner Stelle verwende ich „Ismus“. Da das ein Suffix ohne ein Präfix ist, weist es auf eine Ideologie ohne Ideen hin, was wahrscheinlich stimmt, wie immer man es interpretiert. Und da „Ismus“ alles umfaßt, was existiert, ist der Name wohl passend. In „Ismus“ wird [das englische) „is“ [deutsch: ist) halb erwähnt und halb verwendet — was könnte angemessener sein? Ismus ist der Zen-Geist in der Kunst. Und genauso wie es das Zentralproblem von Zen ist, das Selbst zu demaskieren, scheint das Zentralproblem der Kunst in unserem Jahrhundert zu sein, herauszufinden, was Kunst ist. Dieses ganze Hin und Her ist Teil der Identitätskrise.
Wir haben gesehen, daß die Gebrauch-Erwähnungs-Dichotomie, wenn man sie weitertreibt, sich in das philosophische Problem des Symbol-Objekt-Dualismus verwandelt, und das verbindet es mit dem Geheimnis des menschlichen Geistes. Magritte schrieb über sein Gemälde Die Beschaffenheit des Menschen (Abb. 141):
Ich stellte vor ein Fenster, das von einem Zimmer aus gesehen wird, ein Gemälde, das genau den Teil der Landschaft repräsentiert, der von dem Gemälde verdeckt war. Deshalb verdeckt der im Bild repräsentierte Baum den außerhalb des Zimmers befindlichen Baum. Er existiert sozusagen für den Betrachter gleichzeitig in seinem Geist, nämlich sowohl innerhalb des Zimmers auf dem Bild und draußen in der wirklichen Landschaft. Und so sehen wir die Welt: Wir sehen sie außerhalb von uns, obgleich das nur eine geistige Repräsentierung dessen ist, was wir in unserem Inneren erfahren. 3
Abb. 141 . Die Beschaffenheit des Menschen , von René Magritte (1933).
Den Geist verstehen
Erst durch seine bedeutungsschweren Bilder und sodann direkt in Worten drückt Magritte die Verbindung aus zwischen den beiden Fragen: „Wie funktionieren Symbole?“ und „Wie funktioniert unser Geist?“ Und so führt er uns zurück zu der früher gestellten Frage: „Können wir hoffen, unseren Geist und unser Gehirn jemals zu verstehen?“
Oder schließt eine wundervoll teuflische Gödelsche Aussage aus, daß wir jemals unser Denken entwirren können? Wenn man sich nicht an eine vollständig unvernünftige Definition von „verstehen“ hält, sehe ich kein Gödelsches Hindernis auf dem Weg zum schließlichen Verständnis unseres Geistes. Zum Beispiel scheint es mir ganz vernünftig, daß jemand Grundsätze zu erkennen wünscht, nach denen unsere Gehirne im allgemeinen funktionieren, in gleicher Weise, wie wir die Funktionsgrundlage eines Automotors erkennen. Das ist etwas ganz anderes als ein einziges Gehirn bis ins letzte zu verstehen — und schon gar nicht das eigene Gehirn. Ich sehe nicht, wie Gödels Satz, selbst in der schlampigsten Art angewandt, etwas über die Möglichkeit dieses Vorhabens aussagen kann. Ich sehe keinen Grund dafür, daß Gödels Satz unsere Fähigkeit, über die allgemeinen Mechanismen, kraft derer Denkprozesse im Medium der Nervenzellen stattfinden, zu verfügen und sie zu formulieren, beeinträchtigen könnte. Ich sehe keine von Gödels Satz errichtete Schranke für den Einsatz von Computern (oder deren Nachfolger), welche Symbolmanipulationen vornehmen, die ungefähr die gleichen Ziele erreichen wie das menschliche Gehirn. Ein ganz anderes Problem ist der Versuch, in einem Programm das Denken eines bestimmten menschlichen Geistes nachzuahmen — aber erst einmal überhaupt ein intelligentes Programm zu erzeugen, ist ein bescheideneres Ziel. Gödels Satz verbietet uns nicht, unser Intelligenzniveau auf Grund
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