Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
Gegenständlichem, und der war wahrhaft revolutionär: der Beginn der abstrakten Kunst. Eine allmähliche Entwicklung von der reinen Gegenständlichkeit bis zum hochabstrakten Muster zeigt Piet Mondrians Werk. Nachdem man sich an nichtgegenständliche Kunst gewöhnt hatte, kam der Surrealismus. Das war eine bizarre Kehrtwendung, ähnlich dem Neoklassizismus in der Musik. Extrem gegenständliche Kunst wurde „unterwandert“ und zu ganz neuen Zwecken verwendet: Sie sollte schockieren, verwirren und verblüffen. Diese Schule gründete André Breton, und sie florierte vor allem in Frankreich. Einige ihrer einflußreichsten Mitglieder waren Dalí, Magritte, de Chirico und Tanguy.
Magrittes semantische Illusionen
Von all diesen Künstlern war sich Magritte des Symbol-Gegenstand-Geheimnisses am ehesten bewußt (welches ich als eine tiefgreifende Erweiterung der Gebrauch-Erwähnung-Unterscheidung auffasse). Er gebraucht es, um beim Betrachter starke Reaktionen hervorzurufen, auch wenn dieser den Unterschied anders formuliert. Man betrachte zum Beispiel seine sehr seltsame Variante des Themas Stilleben, das er Gesunder Menschenverstand nennt (Abb. 137). Hier wird eine mit Früchten gefüllte
Abb. 137 . Der gesunde Menschenverstand , von René Magritte (1945-46).
Abb. 138 . Die zwei Geheimnisse , von René Magritte (1966).
Schale, ein häufiges Motiv für ein Stilleben, gezeigt, die auf einer unbemalten Leinwand steht. Der Konflikt zwischen Symbol und Wirklichkeit ist groß. Das ist aber noch nicht die ganze Ironie, denn natürlich ist das Ganze selbst nur ein Gemälde — ein Stilleben mit einem ungewöhnlichen Thema.
Magrittes Reihe von Pfeifengemälden fasziniert und verwirrt den Betrachter. Man sehe sich Die zwei Geheimnisse (Abb. 138) an. Wenn man sich auf das innere Gemälde konzentriert, erhält man die Botschaft, daß Symbole und Pfeifen verschieden sind. Dann bewegt sich das Auge nach oben zu der „wirklichen“, in der Luft schwebenden Pfeife; man meint, daß sie wirklich, die andere aber nur ein Symbol sei. Das ist natürlich völlig falsch: beide sind auf der gleichen flachen Oberfläche vor unseren Augen. Die Idee, daß eine Pfeife auf einem zweimal verschachtelten Gemälde ist und deshalb irgendwie „weniger wirklich“ als die andere Pfeife, ist ein völliger Trugschluß. Wenn man einmal bereit ist, das „Zimmer zu betreten“, ist man bereits einem Trick zum Opfer gefallen: Man ist auf das Bild als Wirklichkeit hereingefallen. Um in seiner Leichtgläubigkeit konsequent zu sein, sollte man wohlgemut eine Stufe weiter nach unten gehen und das Bild im Bild mit der Wirklichkeit verwechseln. Die einzige Art, wie man nicht hineingesaugt werden kann, ist die, beide Pfeifen einfach als farbige
Abb. 139 . Rauchsignal . [Zeichnung des Autors.]
Flecken auf einer Oberfläche ein paar Zentimeter vor der eigenen Nase anzusehen. Dann, und erst dann, kommt man hinter die volle Bedeutung der schriftlichen Botschaft „Ceci n'est pas une pipe"; aber ironischerweise verwandelt sich in diesem Moment alles in Flecken: auch die Schrift wird zu Flecken und verliert dadurch ihren Sinn. In anderen Worten: in diesem Augenblick ist die verbale Botschaft des Gemäldes in höchst Gödelscher Manier selbstzerstörend.
Die Melodie und das Lied ( Abb. 82 ), einer Reihe von Magritte entnommen, vollbringt all das, was Die zwei Geheimnisse ebenfalls fertigbringen, aber auf einer Stufe anstatt auf zweien. Meine Zeichnungen Rauchsignal und Pfeifentraum (Abb. 139 und 140) sind „Variationen über ein Thema von Magritte“. Man versuche, eine Zeitlang auf Rauchsignal zu starren. Bald sollte man die versteckte Botschaft erkennen: „Ceci n'est pas un message“. Wenn man die Botschaft findet, verleugnet sie sich, tut man das aber nicht, so entgeht einem der ganze Witz der Sache. Wegen ihres indirekten Sichselbstauslöschens lassen sich meine beiden Pfeifenbilder locker auf Gödels G abbilden, was eine „Abbildung des Zentralpfeifmas“ ergibt, im gleichen Sinn wie die anderen Abbildungen von zentralen X-mas: Dog, Krebs, Ai.
Abb. 140 . Pfeifentraum . [Zeichnung des Autors.]
Ein klassisches Beispiel für die Verwirrung zwischen „Gebrauch“ und „Erwähnung“ kommt in Gemälden vor, in denen eine Palette abgebildet ist. Während die Palette eine von der Repräsentierungsbegabung des Malers geschaffene Illusion ist, sind die Farben auf gemalten Paletten buchstäblich Farbflecke von der Palette des Künstlers. Die Farbe spielt
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