Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
fertigstellen können, ohne den Regeln, nach denen er sein Bild zeichnete, untreu zu werden. Dieser Mittelpunkt des ganzen Wirbels ist unvollständig — und muß es sein. Escher hätte ihn beliebig klein machen können losgeworden wäre er ihn nie. So können wir als Außenstehende wissen, daß Bildgalerie wesentlich unvollständig ist, eine Tatsache, die der junge Mann im Innern niemals wird wissen können. Escher hat also eine bildliche Parabel für Gödels Unvollständigkeit gegeben. Und das ist der Grund, warum der Eschersche und der Gödelsche Strang in diesem meinem Buch eng miteinander verflochten sind.
Ein Bach-Strudel, in dem alle Ebenen sich überschneiden
Bei der Betrachtung des Diagramms von Seltsamen Schleifen denkt man unvermeidlicherweise an den Endlos Reduplizierten Kanon aus dem Musikalischen Opfer. Ein Diagramm bestünde aus sechs Schritten (Abb. 147). Zu schade, daß wenn er zu C
Abb. 147 . Das sechseckige Modulationsschema von Bachs Endlos Redupliziertem Kanon bildet eine richtige geschlossene Schleife, wenn man Shepard-Töne verwendet.
zurückkehrt, er eine Oktave höher ist als ursprünglich. Erstaunlicherweise ist es möglich, das Diagramm so zu arrangieren, daß man genau zum Anfangston zurückkehrt, indem man die sogenannten Shepard-Töne verwendet. Benannt sind sie nach ihrem Entdecker, dem Psychologen Roger Shepard. Das Prinzip der Shepard-Tonleiter zeigt Abb. 148. In Worten ausgedrückt, geht das so: Man spielt parallele Tonleitern in verschiedenen Oktavbereichen. Jede Note ist unabhängig von den anderen gewichtet, und in dem Maße, in dem die Noten höher werden, verlieren sie an Gewicht. Man läßt die eine Oktave allmählich ausklingen, während man zugleich allmählich die unterste Oktave hereinbringt. Genau in dem Augenblick, in dem man normalerweise eine Oktave höher wäre, haben sich die Gewichte genau um soviel verschoben, daß der Anfangston reproduziert wird ... So kann man also „ewig weiter in die Höhe“ gehen, ohne jemals höher zu kommen. Man kann es auf dem Klavier versuchen, noch besser funktioniert es, wenn die Töne unter Computerkontrolle genau synthetisiert werden. Dann ist die Illusion verblüffend stark.
Diese wundervolle musikalische Entdeckung gestattet, den Endlos Reduplizierten Kanon so zu spielen, daß er in sich selbst zurückläuft, nachdem er eine Oktave „hinaufgestiegen“ ist. Diese Idee, von Scott Kim und mir gemeinsam entwickelt, wurde unter Verwendung eines Computer-Musiksystems auf Band realisiert. Der Effekt ist sehr subtil, aber sehr real. Es ist recht interessant, daß Bach selbst vermutlich irgendwie wußte, daß es solche Tonleitern gibt, denn in seinem musikalischen Werk finden sich gelegentlich Stellen, die mehr oder weniger vom allgemeinen Prinzip der Shepard-Töne Gebrauch machen, z. B. in der Fantasie und Fuge g-Moll für Orgel.
In seinem Buch J. S. Bach's Musical Offering schreibt Hans Theodore David:
Überall im Musikalischen Opfer wird der Leser, der Interpret oder der Hörer aufgefordert, nach dem Königlichen Thema in all seinen Formen zu suchen. Das ganze Werk ist also ein Ricercar im ursprünglichen, buchstäblichen Wortsinn. 5
Ich halte das für richtig. Man kann gar nicht tief genug in das Musikalische Opfer hineinblicken. Wenn man alles zu wissen glaubt, gibt es immer noch mehr. Gegen das Ende des Ricercar zu sechs Stimmen z. B., das zu improvisieren er sich weigerte, verbarg Bach listig seinen eigenen Namen, auf zwei der Oberstimmen verteilt. Im Musikalischen Opfer geschehen viele Dinge auf verschiedenen Ebenen. Da gibt es Tricks mit Noten und Buchstaben, da gibt es einfallsreiche Variationen über das Königsthema, da gibt es originelle Kanons, außerordentlich komplexe Fugen; da ist Schönheit und emotionale Tiefe, sogar das Schweigen in der Vielstufigkeit des Werks wird hörbar. Das Musikalische Opfer ist eine Fuge aus Fugen, eine Verwickelte Hierarchie wie die von Escher und Gödel, eine intellektuelle Konstruktion, die mich auf eine Weise, die ich nicht in Worte kleiden kann, an die vielstimmige wunderbare Fuge des menschlichen Geistes gemahnt. Und das ist der Grund, warum in diesem Buch die drei Stränge Gödel, Escher und Bach zu einem Endlosen Geflochtenen Band verflochten sind.
Ricercar zu sechs Stimmen
Herr Krebs hat seine Freunde, Herrn Schildkröte und Achilles, in seine Ferienvilla in Damp-Ost eingeladen, um gemeinsam einen Abend lang die Kammermusik zu pflegen. Achilles hat sein Cello mitgebracht.
Weitere Kostenlose Bücher