Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
Es kommt, mir vor, ich habe auch diese Gegenden betreten, ich sei an allen Klippen dieses höllischen Toten Meers vorbeigefahren und von überall kehrte ich mit zerschelltem Mastbaum und zerfetzten Segeln zurück, und von da an datiere ich die Verderbnis meines Humors und meinen Fall. Unbesonnen setzte ich mein Leben und mein Glück hierauf — aut Caesar aut nihil. 1
Aber später, als er überzeugt war, daß sein Sohn wirklich fündig geworden war, drängte er ihn, seine Ergebnisse zu veröffentlichen, und sagte richtig die Gleichzeitigkeit voraus, die bei wissenschaftlichen Entdeckungen so häufig ist:
Es liegt da einige Wahrheit, daß manche Dinge gleichsam eine Epoche haben, wo sie dann an mehreren Orten aufgefunden werden, wie früher die Veilchen mehrwärts ans Licht hervorkommen. 2
Wie sehr das im Fall der nichteuklidischen Geometrie zutraf: In Deutschland waren Gauß selbst und einige andere unabhängig voneinander auf nichteuklidische Vorstellungen gestoßen. Darunter befand sich ein Rechtsanwalt, F. K. Schweikart, der im Jahr 1818 Gauß einen Brief schickte, in dem er seine „astrale“ Geometrie beschrieb, Schweikarts Neffe, F. A. Taurinus, der sich mit nichteuklidischer Trigonometrie befaßte, und F. L. Wachter, ein Schüler von Gauß, der verschiedene tiefschürfende Ergebnisse in der nichteuklidischen Geometrie entdeckte und 1817 im Alter von 25 Jahren verstarb.
Der Schlüssel zur nichteuklidischen Geometrie war „geradliniges Denken“ über die Sätze, die sich aus Geometrien wie denen von Saccheri und Lambert ergaben. Die Sätze von Saccheri laufen nur dann dem „Wesen der geraden Linie“ zuwider, wenn man sich nicht von vorgefaßten Meinungen darüber befreit, was eine „Gerade“ sein sollte. Wer sich jedoch von solchen vorgefaßten Vorstellungen loslösen kann und eine „Gerade“ einfach als etwas betrachtet, das den neuen Sätzen genügt, der hat einen radikal neuen Gesichtspunkt erworben.
Undefinierte Ausdrücke
Das sollte uns allmählich bekannt vorkommen. Insbesondere erinnert es uns an das pg-System und seine Variante, in dem die Symbole kraft ihrer Rolle in den S ÄTZEN eine passive Bedeutung erhielten. Das Symbol g ist besonders interessant, da seine „Bedeutung“ sich veränderte, als wir ein neues Axiomenschema hinzufügten. Auf genau diegleiche Weise kann man die Bedeutung von „Punkt“, „Gerade“ usw. durch die Menge der S ÄTZE (oder Propositionen), in denen sie vorkommen, bestimmt sein lassen. Dies war die große Erkenntnis der Entdecker der nichteuklidischen Geometrie. Indem sie Euklids fünftes Postulat auf verschiedene Art und Weise verneinten und daraus die Konsequenzen zogen, fanden sie verschiedene Arten von nichteuklidischer Geometrie. Genaugenommen verneinten sie (und Saccheri) das fünfte Postulat nicht direkt, sondern vielmehr ein äquivalentes Postulat, das sogenannte Parallelen-Axiom, das wie folgt lautet:
Gegeben sei eine Gerade und ein nicht auf ihr gelegener Punkt; dann gibt es eine und nur eine Gerade, die durch diesen Punkt geht und sich mit der ersten Geraden nie schneidet, soweit man sie auch verlängere.
Von der zweiten Geraden sagt man dann, sie sei parallel zu der ersten. Behauptet man, daß es keine solche Gerade gibt, so kommt man zur elliptischen Geometrie; behauptet man, daß es mindestens zwei solcher Geraden gibt, so kommt man zur hyperbolischen Geometrie. Übrigens ist der Grund dafür, daß man solche Varianten immer noch als „Geometrien“ bezeichnet, der, daß das Kernelement — die absolute oder Vier-Postulat-Geometrie — in sie eingebettet ist. Es ist dieses Vorhandensein eines Minimalkerns, das uns berechtigt, sie als Beschreibungen von Eigenschaften eines gewissen geometrischen Raumes aufzufassen, auch wenn dieser Raum nicht so anschaulich ist wie der gewöhnliche.
Es ist tatsächlich ein Leichtes, sich eine elliptische Geometrie vorzustellen. Alle „Punkte“, „Geraden“ usw. seien Teile der Oberfläche einer gewöhnlichen Kugel. Schreiben wir „P UNKT “, wenn wir den technischen Ausdruck verwenden, und „Punkt“, wenn die alltägliche Bedeutung gemeint ist. Man kann dann sagen, daß ein P UNKT aus einem Paar diametral entgegengesetzter Punkte auf einer Kugeloberfläche besteht. Eine G ERADE ist ein Großkreis auf der Kugel (ein Kreis, dessen Mittelpunkt wie beim Äquator im Mittelpunkt der Kugel liegt). So interpretiert sprechen die Sätze der elliptischen Geometrie, obgleich sie Wörter wie „P UNKT “ und
Weitere Kostenlose Bücher