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Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band

Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band

Titel: Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas R. Hofstadter
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„G ERADE “ enthalten, von Vorgängen auf einer Kugel, nicht einer ebenen Fläche. Man beachte, daß zwei G ERADEN sich immer genau in zwei entgegengesetzten Punkten der Kugeloberfläche schneiden — d. h. in genau einem einzigen P UNKT ! Und genau wie zwei G ERADEN einen P UNKT bestimmen, so zwei P UNKTE eine G ERADE .
    Indem wir Wörter wie „P UNKT “ und „G ERADE “ so behandeln, als hätten sie nur die Bedeutung, die ihnen die Sätze verleihen, in denen sie vorkommen, tun wir einen Schritt in der Richtung auf eine vollständige Formalisierung der Geometrie. Diese halbformale Version macht immer noch von einer großen Anzahl deutscher Wörter in deren üblicher Bedeutung Gebrauch (Wörter wie „der“, „die“, „das“, „wenn“, „und“, „verbinden“, „haben“), doch haben spezielle Wörter wie „P UNKT “ und „G ERADE “ nicht mehr ihre gängige Bedeutung. Deshalb heißen sie undefinierte Ausdrücke. Undefinierte Ausdrücke wie z. B. das p und das g im pg-System werden aber doch in einem gewissen Sinn definiert, und zwar implizit — durch die Gesamtheit aller Sätze, in denen sie vorkommen, und nicht explizit durch eine Definition.
    Es ließe sich behaupten, daß eine vollständige Definition der undefinierten Ausdrücke allein in den Postulaten liegt, da die Sätze, die aus ihnen folgen, bereits den Postulaten implizit sind. Das würde bedeuten, daß die Postulate implizite Definitionen aller undefinierten Ausdrücke sind, da alle undefinierten Ausdrücke durch die andern definiert wären.
Die Möglichkeit von Mehrfach-Interpretationen
    Eine vollständige Formalisierung der Geometrie täte den drastischen Schritt, jeden Ausdruck undefiniert zu machen — d. h. jeden Ausdruck in ein „bedeutungsleeres“ Symbol eines formalen Systems zu verwandeln. Ich setze „bedeutungsleer“ in Anführungszeichen, da, wie wir wissen, die Symbole automatisch in Übereinstimmung mit den S ÄTZEN , in denen sie vorkommen, passive Bedeutung annehmen. Eine andere Frage ist es indessen, ob man diese Bedeutung entdeckt, und dazu muß man eine Anzahl von Begriffen finden, die vermöge einer Isomorphie mit den Symbolen in dem formalen System verknüpft werden können. Wenn man mit dem Vorsatz beginnt, die Geometrie zu formalisieren, hat man vermutlich für jedes Symbol eine beabsichtigte Interpretation, so daß die passiven Bedeutungen in das System eingebaut sind. Das tat ich mit p und g , als ich das pg-System schuf.
    Vielleicht aber gibt es andere passive Bedeutungen, die möglicherweise wahrnehmbar wären, die aber noch niemand bemerkt hat. Da waren z. B. die überraschenden Interpretationen von p als „gleich“, g als „weggenommen von“ im ursprünglichen pg-System. Das ist vielleicht ein eher triviales Beispiel, enthält aber das Wesentliche der Idee, daß Symbole viele bedeutungstragende Interpretationen haben können Aufgabe des Beobachters ist es, nach ihnen Ausschau zu halten.
    Wir können unsere bisherigen Beobachtungen mit dem Wort „Widerspruchsfreiheit“ zusammenfassen. Begonnen haben wir unsere Diskussion mit der Herstellung eines — wie es schien — (widerspruchsvollen) formalen Systems — eines, das in sich wie auch in Bezug auf die Wirklichkeit widerspruchsvoll war. Doch einen Augenblick später nahmen wir alles wieder zurück, als wir unsern Fehler einsahen: nämlich daß wir eine unglückliche Wahl für die Interpretation der Symbole getroffen hatten. Indem wir die Interpretation wechselten, gewannen wir die Widerspruchsfreiheit zurück! Es zeigt sich nunmehr, daß Widerspruchsfreiheit nicht eine Eigenschaft eines formalen Systems als solchen, sondern von der dafür vorgeschlagenen Interpretation abhängig ist. Aus dem gleichen Grund ist Widersprüchlichkeit keine intrinsische Eigenschaft irgendeines formalen Systems.
Spielarten der Widerspruchsfreiheit
    Wir haben, ohne sie zu definieren, die ganze Zeit von „Widerspruchsfreiheit“ und „Widersprüchlichkeit“ geredet. Wir verließen uns ganz einfach auf die guten alten Alltagsbegriffe. Nun aber wollen wir genau sagen, was man unter der Widerspruchsfreiheit eines formalen Systems (zusammen mit einer Interpretation) versteht: daßjeder S ATZ , wenn interpretiert, zu einer wahren Aussage wird. Und wir werden sagen, daß Widersprüchlichkeit dann vorliegt, wenn sich unter den interpretierten S ÄTZEN zumindest eine falsche Aussage findet.
    Diese Definition ist offensichtlich auf Widersprüchlichkeit mit der äußeren Welt

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