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Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band

Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band

Titel: Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas R. Hofstadter
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hätte Euklid es vorgezogen, dieses häßliche Entlein zu beweisen, anstatt es annehmen zu müssen. Doch fand er keinen Beweis, und deshalb nahm er es an.
    Die Schüler Euklids jedoch waren auch nicht glücklicher, daß sie das fünfte Postulat annehmen mußten. Im Lauf der Jahrhunderte haben unzählige Forscher unzählige Jahre ihres Lebens auf den Versuch verwendet, zu beweisen, daß das fünfte Postulat selber einen Teil der Vier-Postulat-Geometrie bildet. Bis zum Jahre 1763 waren mindest achtundzwanzig Beweise veröffentlicht worden — alle falsch! (Ein gewisser G. S. Klügel hat sie alle in einer Dissertation kritisiert.) Bei all diesen irrigen Beweisen kamdie Verwechslung zwischen alltäglicher Intuition und streng formalen Eigenschaften ins Spiel. Man kann sagen, daß kaum einer dieser Beweise heute noch von mathematischem oder geschichtlichem Interesse ist — mit gewissen Ausnahmen.
Die vielen Gesichter des Nichteuklid
    Girolamo Saccheri (1667-1733) lebte zu Bachs Zeiten. Sein Ehrgeiz war es, Euklid von jedem Makel zu reinigen. Ausgehend von einigen seiner früheren Arbeiten auf dem Gebiet der Logik entschloß er sich, den Beweis des berühmten fünften Postulats auf neuartige Weise anzugehen: wie, wenn man das Gegenteil annehme und dann mit diesem als dem fünften Postulat arbeitete ...? Sicherlich würde man dann nach einer gewissen Zeit auf eine Kontradiktion stoßen. Da kein mathematisches System eine Kontradiktion verträgt, hat man gezeigt, daß dieses eigene fünfte Postulat nicht aufrechten zu erhalten ist, und damit die Vernünftigkeit von Euklids fünftem Postulat bewiesen. Wir brauchen hier nicht in die Einzelheiten zu gehen. Es genügt die Feststellung, daß Saccheri mit großem Geschick einen Satz der „Saccheri-Geometrie“ nach dem andern bewies und der Sache schließlich müde wurde. An einem gewissen Punkte angelangt entschied er, daß er zu einem Satz gekommen war, der der „Natur einer Geraden zuwider lief“. Das war, was er sich erhofft hatte — in seiner Vorstellung war es die lange gesuchte Kontradiktion. Als er so weit gekommen war, veröffentlichte er sein Werk unter dem Titel Euklid von jedem Makel gereinigt — und dann starb er.
    Doch dadurch brachte er sich selbst um einen guten Teil seines Nachruhms, da er, ohne es zu wissen, das entdeckt hatte, was später als „hyperbolische Geometrie“ bekannt wurde. Fünfzig Jahre nach Saccheri wiederholte J. H. Lambert diesen „Fast-Treffer“ und kam, wenn es überhaupt möglich war, der Sache noch näher. Und schließlich erkannte man vierzig Jahre nach Lambert und neunzig nach Saccheri die nichteuklidische Geometrie als das was sie war: eine authentische neue Art von Geometrie, eine Verästelung des bis dahin einheitlichen Stroms der Mathematik. Im Jahre 1823 wurde die nichteuklidische Geometrie — einer jener unerklärlichen Zufälle gleichzeitig von dem 21jährigen ungarischen Mathematiker János (oder Johann) Bolyai und dem 30jährigen russischen Mathematiker Nikolai Lobatschewski entdeckt. Und — Ironie des Schicksals — in demselben Jahr legte der große französische Mathematiker Adrien-Marie Legendre im Anschluß an Saccheri eine Arbeit vor, von der er sicher war, daß sie den Beweis von Euklids fünftem Postulat darstelle.
    Übrigens bemühte sich auch Bolyais Vater Farkas (oder Wolfgang) Bolyai, ein enger Freund des großen Gauß, intensiv um den Beweis von Euklids fünftem Postulat. In einem Brief an seinen Sohn János versuchte er, ihn vom Brüten über solche Dinge abzubringen:
    Du darfst die Parallelen auf jenem Wege nicht versuchen; ich kenne diesen Weg bis an sein Ende — auch ich habe diese bodenlose Nacht durchmessen, jedes Licht, jede Freude meines Lebens sind in mir ausgelöscht worden — ich beschwöre Dich bei Gott, laß die Lehre von den Parallelen in Frieden ... Ich hatte mir vorgenommen,mich für die Wahrheit aufzuopfern; ich wäre bereit gewesen, zum Märtyrer zu werden, damit ich nur die Geometrie von diesem Makel gereinigt dem menschlichen Geschlecht übergeben könnte. Schauderhafte, riesige Arbeiten habe ich vollbracht, habe bei weitem besseres geleistet als bisher geleistet wurde, aber keine vollkommene Befriedigung habe ich je gefunden; hier aber galt es: si paullum a summo discessit, vergit ad imum. Ich bin zurückgekehrt, weil ich durchschaut habe, daß man den Boden dieser Nacht von der Erde aus nicht erreichen kann, ohne Trost, mich selbst und das ganze menschliche Geschlecht bedauernd ...

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