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Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band

Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band

Titel: Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas R. Hofstadter
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man Ketten als Aussagen auffaßt). Unser neues System steht also zur äußeren Welt im Widerspruch.
    Als ob das nicht schlimm genug wäre: wir haben mit unserem neuen System auch innere Probleme, da es nicht übereinstimmende Aussagen enthält, z. B. −p−g−− (einaltes Axiom) und −p−g− (ein neues Axiom). Unser System ist also auch in einem zweiten Sinn widerspruchsvoll, nämlich in sich selbst.
    Wäre es somit das einzig vernünftige Vorgehen an diesem Punkt, das neue System als Ganzes fallen zu lassen? Kaum. Ich habe den Leser mit „Widersprüchen“ absichtlich etwas hinters Licht geführt, d. h., ich habe verworrene Argumente so nachdrücklich wie möglich vorgetragen in der Absicht, ihn irrezuführen. Es ist sehr gut möglich, daß er die Trugschlüsse in dem, was ich sagte, entdeckt hat. Der entscheidende Trugschluß war der, daß ich unbekümmert für die Interpretation im neuen System die gleichen Ausdrücke gebrauchte, die ich für das alte System verwendet hatte. Erinnern Sie sich daran, daß ich nur einen Grund hatte, diese Wörter im vorangegangenen Kapitel anzuwenden, und der war, daß vermöge der Interpretation die Symbole sich den Begriffen isomorph verhielten, denen sie zugeordnet wurden. Wenn man jedoch die das System beherrschenden Regeln modifiziert, beschädigt man notwendigerweise die Isomorphie. Das ist nicht zu ändern. So waren all die Probleme, über die ich in den vorhergehenden Abschnitten wehklagte, Scheinprobleme. Man kann sie im Handumdrehen zum Verschwinden bringen, indem man einige Symbole des Systems auf passende Weise neu interpretiert. Man bemerke, daß ich „einige“ gesagt habe; nicht alle Symbole müssen notwendigerweise auf neue Begriffe abgebildet werden. Einige können sehr wohl ihre "Bedeutung“ beibehalten, während sie bei anderen geändert werden muß.
Widerspruchsfreiheit wiederherstellen
    Angenommen zum Beispiel, daß wir bloß das Symbol g neu interpretieren und alle anderen unverändert lassen; in diesem Fall interpretieren wir g durch die Wörter „ist größer als oder gleich“. Nun werden unsere „kontradiktorischen“ S ÄTZE −p−g− und −p−g−− ganz harmlos zu „1 plus 1 ist größer als oder gleich 1“, und „1 plus 1 ist größer als oder gleich 2“. Wir sind gleichzeitig 1. die Widersprüche mit der äußeren Welt und 2. die inneren Widersprüche losgeworden. Und unsere neue Interpretation ist eine bedeutungstragende Interpretation; die ursprünglich ist natürlich bedeutungsleer. Das heißt, sie hat in dem neuen System keine Bedeutung; für das ursprüngliche pg-System ist sie in Ordnung. Jetzt aber erscheint es sinnlos und willkürlich, sie auf das neue pg-System anzuwenden, wie es sinnlos gewesen war, die „Pferd-Apfel-glücklich“ Interpretation im alten pg-System anzuwenden.
Die Geschichte der euklidischen Geometrie
    Obschon ich versucht habe, Sie zu überrumpeln und etwas zu überraschen, kommt Ihnen wohl diese Lektion über die Interpretation von Symbolen durch Wörter wohl nicht so furchtbar schwierig vor, sobald Sie sie einmal kapiert haben. Sie ist es tatsächlich nicht. Und doch ist es eines der tiefstgreifenden Ergebnisse der gesamten Mathe-

Abb. 21 . Der Turm von Babel , von M. C. Escher (Holzschnitt, 1928).
    matik des 19. Jahrhunderts! Es begann mit Euklid, der um das Jahr 300 v. Chr. alles, was man zu seiner Zeit über ebene und räumliche Geometrie wußte, zusammentrug und systematisierte. Das so entstandene Werk, Euklids Elemente, war so festgefügt, daß es für mehr als zweitausend Jahre praktisch die Bibel der Geometrie war — eines der dauerhaftesten Werke aller Zeiten. Warum war das so?
    Der Hauptgrund war der, daß Euklid die Genauigkeit der Mathematik begründete. Die Elemente beginnen mit ganz einfachen Begriffen, Definitionen usw., und bauen allmählich einen gewaltigen Vorrat von Ergebnissen auf, und zwar in der Weise, daß jedes Einzelergebnis nur auf vorhergehenden Ergebnissen beruht. Das Werk besaß also einen definitiven Plan, eine Architektur, die es stark und widerstandskräftig machte.
    Indessen war die Architektur anderer Art als etwa die eines Wolkenkratzers ( Abb. 21 ). Bei diesem genügt die Tatsache, daß er steht, für den Beweis, daß seine Strukturelemente ihn aufrecht erhalten. In einem Buch über Geometrie jedoch, in dem der Anspruch erhoben wird, daß jeder Satz logisch aus einem früheren folgt, gibt es keinen sichtbaren Zusammenbruch, wenn einer der Beweise ungültig ist. Die

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