Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
einen Teil des Formalen Systems II bilden, bleiben die passiven Bedeutungen der Symbole des Formalen Systems I gültig, sie bilden ein unabhängiges Gerüst, das dann eine große Rolle in der Festlegung der passiven Bedeutungen der neuen Symbole des Formalen Systems II spielt. Das zweite System kann dann seinerseits im Hinblick auf ein drittes System die Rolle eines Gerüst spielen, usw. Auch ist es möglich — und dafür ist die Geometrie ein gutes Beispiel — ein System zu haben (z. B. die absolute Geometrie), das die passiven Bedeutungen seiner undefinierten Ausdrücke zum Teil festlegt, und das durch zusätzliche Regeln oder Axiome ergänzt werden kann, die dann die passive Bedeutung der undefinierten Ausdrücke weiter einschränkt. Das ist der Fall mit der euklidischen im Gegensatz zur nichteuklidischen Geometrie.
Abb. 22 . Relativität , von M. C. Escher (Lithographie, 1953).
Schichten der Stabilität in der visuellen Wahrnehmung
Auf ähnliche hierarchisch geordnete Weise erwerben wir neues Wissen, einen neuen Wortschatz oder nehmen wir Gegenstände wahr, mit denen wir nicht vertraut sind. Das ist besonders interessant beim Versuch, Zeichnungen von Escher zu verstehen, z. B. Relativität (Abb. 22), wo eklatant unmögliche Bilder vorkommen. Man könntemeinen, daß wir das Bild immer wieder neu zu interpretieren versuchten, bis wir zu einer Interpretation seiner einzelnen Teile kämen, die frei von Kontradiktionen wäre aber das tun wir keineswegs. Wir sitzen da und lassen uns von den Treppen, die in alle möglichen Richtungen gehen, und von Menschen, die sich auf einer einzigen Treppe in widerspruchsvollen Richtungen bewegen, erheitern und verwirren. Diese Treppen sind „Inseln der Gewißheit“, auf die wir unsere Interpretation des Gesamtbildes stützen. Nachdem wir sie dann identifiziert haben, versuchen wir, unser Verständnis zu erweitern; indem wir ihre Beziehung zueinander festzustellen suchen. In diesem Stadium kommen wir in Schwierigkeiten. Aber wenn wir versuchten, unseren Weg zurück zu verfolgen, d. h. die „Inseln der Gewißheit“ in Frage zu stellen, kämen wir ebenfalls in Schwierigkeiten, wenn auch anderer Art. Es besteht keine Möglichkeit, zurückzugehen und zu „un-entscheiden“, daß es sich um Treppen handelt. Es sind keine Fische, keine Finger, keine Hände, — es sind einfach Treppen. (Es gibt tatsächlich einen einzigen anderen Ausweg — nämlich, daß man alle die Striche des Bildes vollständig uninterpretiert läßt, wie die „bedeutungsleeren Symbole“ eines formalen Systems. Dieser letzte Notausgang ist ein Beispiel für die Reaktion im „U-Modus“ — eine Zen-Haltung gegenüber dem Symbolismus.
So sind wir also durch die hierarchische Natur unseres Wahrnehmungsprozesses gezwungen, entweder eine verrückte Welt oder einfach ein Bündel sinnloser Striche zu sehen. Auf ähnliche Weise könnte man Dutzende von Eschers Bildern analysieren, die weitgehend auf der Erkenntnis gewisser Grundformen beruhen, die auf Nicht-Standard-Weise zusammengesetzt werden; und wenn der Beobachter dann einmal die Paradoxie auf einer hohen Ebene wahrgenommen hat, ist es zu spät — zurückgehen und seine Ansicht ändern, wie er die Gegenstände der tieferen Ebene interpretieren will, kann er nicht. Der Unterschied zwischen einem Bild von Escher und nichteuklidischer Geometrie besteht darin, daß sich bei letzteren für die undefinierten Ausdrücke verständliche Interpretationen finden lassen, was zu einem verständlichen Gesamtsystem führt, während bei ersterem das Endergebnis sich mit unserer Auffassung von der Welt nicht in Einklang bringen läßt, so lange wir auch die Bilder anstarren mögen. Natürlich kann man hypothetische Welten fabrizieren, in denen Escherianische Ereignisse stattfinden können ... aber in solchen Welten verletzt man die Gesetze der Biologie, der Physik, der Mathematik, sogar die der Logik auf der einen Ebene, während sie gleichzeitig auf einer anderen Gültigkeit haben, und das macht sie zu äußerst verrückten Welten. (Ein Beispiel dafür ist Wasserfall ( Abb. 5 ), wo die normale Schwerkraft für das fließende Wasser gilt, aber die Art des Raumes die Gesetze der Physik verletzt.)
Ist die Mathematik in allen denkbaren Welten die gleiche?
Wir haben oben betont, daß innere Widerspruchsfreiheit eines formalen Systems (zusammen mit einer Interpretation) es erforderlich macht, daß es eine vorstellbare Welt gibt, in der alle interpretierten S ÄTZE sich als
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