Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
wahr erweisen — eine Welt, deren einzig restriktive Bedingung die ist, daß in ihr die Mathematik und die Logik wie in unserer Welt sein sollen. Äußere Widerspruchsfreiheit jedoch — also Widerspruchsfreiheitin bezug auf die äußere Welt — macht es erforderlich, daß alle S ÄTZE sich in der wirklichen Welt als wahr erweisen. Im Sonderfall, in dem man ein widerspruchsfreies formales System errichten will, dessen S ÄTZE als Aussagen der Mathematik interpretiert werden sollen, könnte es nun den Anschein haben, daß der Unterschied zwischen den beiden Typen der Widerspruchsfreiheit verschwindet, da nach dem oben Gesagten, alle vorstellbaren Welten die gleiche Mathematik wie die wirkliche Welt besitzen. So müßte in jeder denkbaren Welt 1 plus 1 gleich 2 sein; genauso müßte es unendlich viele Primzahlen geben, sodann müßten in jeder denkbaren Welt alle rechten Winkel kongruent sein, und natürlich müßte es für jeden Punkt, der nicht auf einer gegebenen Geraden liegt, genau eine Parallele geben ...
Aber halt! Das ist ja das Parallelen-Axiom — und im Lichte dessen, was wir soeben gesagt haben, wäre es ein Fehler, seine Allgemeingültigkeit zu behaupten. Wenn das Parallelen-Axiom in allen denkbaren Welten gilt, dann behaupten wir, daß eine nichteuklidische Geometrie nicht denkbar ist, was uns in den Geisteszustand eines Saccheri und Lambert zurückversetzt — sicher kein kluger Schritt. Was aber müssen alle denkbaren Welten gemeinsam haben, wenn nicht die gesamte Mathematik? Könnte das etwas so geringfügiges sein wie die Logik selbst? Oder ist selbst die Logik suspekt? Könnte es Welten geben, in denen Kontradiktionen keine Kontradiktionen sind?
Nun, in einem gewissen Sinn haben wir gezeigt, daß solche Welten in der Tat denkbar sind, einfach indem wir diese Vorstellung erfanden; in einem tieferen Sinne sind sie aber gänzlich undenkbar. (Das ist an sich eine kleine Kontradiktion.) Im Ernst jedoch: es hat den Anschein, daß wir uns für eine gemeinsame Grundlage entscheiden müssen, wollen wir überhaupt fähig sein zu kommunizieren, und diese Grundlage muß die Logik so ziemlich einschließen. (Es gibt Glaubenssysteme, die diesen Standpunkt ablehnen — er ist zu logisch. Insbesondere macht Zen sich mit dem gleichen Eifer Kontradiktionen und Nicht-Kontradiktionen zueigen. Das scheint widerspruchsvoll zu sein, aber schließlich ist widerspruchsvoll sein ein Teil von Zen, und ... was kann man dazu sagen?)
Ist die Zahlentheorie in allen denkbaren Welten die gleiche?
Nehmen wir an, daß Logik einen Teil jeder denkbaren Welt bildet (und man beachte, daß wir Logik nicht definiert haben, wir werden es aber in späteren Kapiteln tun) — ist das alles? Ist es wirklich denkbar, daß es in gewissen Welten nicht unendlich viele Primzahlen gibt? Scheint es nicht notwendig, daß Zahlen in allen denkbaren Welten den gleichen Gesetzen gehorchen sollten? Oder ... tut man besser daran, den Begriff „natürliche Zahlen“ als undefinierten Ausdruck aufzufassen wie „P UNKT “ und „G ERADE “? In diesem Falle wäre die Zahlentheorie wie die Geometrie eine gespaltene Theorie: Es gäbe Standard- und Nichtstandard-Zahlentheorien. Es müßte aber irgendeine Entsprechung zur absoluten Geometrie geben, eine „Kern"-Theorie, einen invarianten Bestandteil aller Zahlentheorien, der sie als Zahlentheorien und nicht als solche über sagen wir Kakao oder Kautschuk oder Bananen auswiese. Es scheint die übereinstimmende Meinung der meisten modernen Mathematiker und Philosophen zusein, daß es eine solche Kern-Zahlentheorie gibt, die, zusammen mit der Logik, zu dem gehört, was wir unter „denkbaren Welten“ verstehen. Dieser Kern der Zahlentheorie, die Entsprechung zur absoluten Geometrie, heißt Peano-Arithmetik, und wir werden sie im Kapitel VIII formalisieren. Es steht auch nunmehr hinreichend fest, übrigens als eine direkte Folge von Gödels Satz, daß die Zahlentheorie tatsächlich eine gespaltene Theorie mit Standard- und Nichtstandard-Varianten ist. Doch ist die Anzahl der „Typen“ der Zahlentheorien im Gegensatz zur Geometrie unendlich, was die Lage der Zahlentheorie beträchtlich komplexer macht.
Für praktische Zwecke sind alle Zahlentheorien gleich. In anderen Worten, wenn der Brückenbau auf der Zahlentheorie beruht (was er in einem gewissen Sinne tut), wäre die Tatsache, daß es verschiedene Zahlentheorien gibt, ohne Belang, da sich alle Zahlentheorien in den Aspekten, die sich auf die wirkliche
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