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Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band

Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band

Titel: Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas R. Hofstadter
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verstehen sich aber aufs Essen mit Stäbchen, Herr S.!
    Schildkröte: Kein Wunder. Von klein auf habe ich die orientalische Küche besonders gerne gemocht. Und wie steht's mit Ihnen — hat's Ihnen geschmeckt, Achilles?
    Achilles: Außerordentlich. Ich habe noch nie chinesisch gegessen. Diese Mahlzeit war eine glänzende Einführung. Müssen Sie jetzt gleich gehen, oder sollen wir einfach hier sitzen bleiben und ein bißchen plaudern?
    Schildkröte: Ich würde gern bei einer Tasse Tee noch ein bißchen schwatzen. Herr Ober!
    (Ein Kellner kommt)
    Die Rechnung — und noch etwas Tee.
    (Der Kellner eilends ab)
    Achilles: Sie kennen sich vielleicht in der chinesischen Küche besser aus als ich, Herr S., aber ich wette, daß ich mehr über japanische Dichtung weiß als Sie. Haben Sie jemals Haikus gelesen?
    Schildkröte: Ich fürchte nein. Was ist ein Haiku?
    Achilles: Ein Haiku ist ein siebzehnsilbiges japanisches Gedicht, oder vielmehr Mini-Gedicht, das etwas heraufbeschwört, wie das z. B. ein duftendes Blütenblatt einer Rose oder ein Teich mit Wasserlilien in einem leichten Regen tun. Es besteht gewöhnlich aus fünf, sieben und fünf Silben.
    Schildkröte: Solche nur siebzehn Silben lange Gedichte scheinen mir sinnlos ...
    Achilles: Der Sinn liegt im Geist des Lesers ebenso wie in dem des Haikus.
    Schildkröte: Hm ... Eine Feststellung, die allerhand heraufbeschwört.
    (Der Kellner kommt mit der Rechnung, einer neuen Teekanne und zwei „Glücksküchlein“.)
    Danke, Herr Ober. Noch etwas Tee, Achilles?
    Achilles: Gerne. Dieses Gebäck sieht köstlich aus. (Er nimmt ein Stück, beginnt zu kauen) Halt, was ist da Komisches drin? Ein Stück Papier?
    Schildkröte: Das ist Ihr Glück, Achilles. In vielen chinesischen Restaurants erhält man solche Glücksküchlein zusammen mit der Rechnung — um den Schrecken etwas zu dämpfen. Wenn man chinesische Restaurants besucht, kommt man allmählich dazu, dieses Gebäck weniger als Backwerk denn als Botschaftsträger zu betrachten. Leider haben Sie scheint's einen Teil Ihres Glücks verschluckt. Was steht auf dem Rest?
    Achilles: Es ist ein bißchen seltsam, denn alle Buchstaben laufen ohne Zwischenräume ineinander. Vielleicht sollte man es irgendwie entschlüsseln? Ah — nun seh' ich's.
    Wenn man die Zwischenräume dort wieder einsetzt, wo sie hingehören steht da: „ODE TWA RAR GAU“. Das verstehe ich nicht — vielleicht war es ein haikuähnliches Gedicht, von dem ich die meisten Silben gegessen habe.
    Schildkröte: In diesem Fall ist Ihr Glück ein 4/17-Haiku. Und das beschwört ein kurioses Bild herauf. Wenn 4/17-Haiku eine neue Kunstform ist, dann würde ich als alter Berliner sagen: Au, det war arg! Kann ich es einmal sehen?
    Achilles (gibt das kleine Stückchen Papier der Schildkröte): Gewiß!
    Schildkröte: Wenn ich es „entschlüssele“, Achilles, kommt etwas ganz anderes heraus! Es ist gar kein 4/17-Haiku. Es ist eine fünfsilbige Botschaft: „O, DET WAR ARG, AU!“ Das klingt wie ein scharfsinniger Kommentar zur neuen Kunstform des 4/17-Haiku.
    Achilles: Sie haben recht. Ist es nicht erstaunlich, daß das Gedicht seinen eigenen Kommentar enthält?
    Schildkröte: Ich habe einfach den Bezugsrahmen um eine Einheit, das heißt die Zwischenräume einen Schritt nach rechts, versetzt.
    Achilles: Was sagt wohl Ihr Glücksküchlein?
    Schildkröte (bricht das Küchlein und liest): „Glück liegt ebenso in den Händen des Essers wie im Küchlein selbst.“
    Achilles: Ihr Glück ist gleichfalls ein Haiku, Herr Schildkröte — zumindest hat es 17 Silben in der Form 5-7-5.
    Schildkröte: Großartig, darauf wäre ich nie gekommen, Achilles. Solche Dinge merken auch nur Sie! Was mir noch mehr auffiel, ist das, was hier gesagt wird, und das läßt sich natürlich interpretieren.
    Achilles: Es zeigt wohl nur, daß jeder von uns seine eigene charakteristische Art und Weise hat, die Botschaft zu interpretieren, auf die wir stoßen ...
    (Achilles starrt müßig auf die Teeblätter in seiner leeren Tasse.)
    Schildkröte: Noch etwas Tee, Achilles?
    Achilles: Ja, danke. Wie geht es übrigens Ihrem Freund, Herrn Krebs? Ich habe viel an ihn denken müssen, seit Sie mir von Ihrer merkwürdigen Grammophonschlacht berichteten.
    Schildkröte: Ich habe ihm auch von Ihnen erzählt, und er würde Sie sehr gerne kennenlernen. Es geht ihm blendend. Was Plattenspieler anbetrifft, hat er sich übrigens unlängst etwas angeschafft: eine seltene Art von Musikbox.
    Achilles: Erzählen Sie mir

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