Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
in einer einzigen Platte codiert sein?
Schildkröte: Wenn Sie ganz genau aufpassen, Achilles, werden Sie eine gewisse Verwandtschaft zwischen den beiden feststellen. Ich zeige Ihnen, wie das vor sich geht. Was kommt heraus, wenn Sie die aufeinanderfolgenden Intervalle in der Melodie B-A-C-H niederschreiben?
Achilles: Nun, erst geht es einen Halbton abwärts, von B nach A, dann steigt es drei Halbtöne an bis C, und schließlich fällt es einen Halbton nach H. Das ergibt das Muster:
–1, +3, –1
Schildkröte: Richtig! und nun C-A-G-E?
Achilles: Nun, in diesem Fall beginnt es mit drei Halbtönen nach unten, dann zehn Halbtöne (fast eine Oktave) nach oben, und fällt schließlich 3 Halbtöne nach unten. Das Muster ist also:
–3, +10, –3
Es ist dem anderen sehr ähnlich, nicht wahr?
Schildkröte: In der Tat. In einem gewissen Sinne haben beide das gleiche „Skelett“. Man kann C-A-G-E aus B-A-C-H gewinnen, indem man alle Intervalle mit 3 1 /3 multipliziert und zur nächsten ganzen Zahl auf- oder abrundet.
Achilles: Da brat' mir doch einer 'nen Storch! Das heißt also, daß nur eine Art Skelett-Code in den Rillen vorhanden ist und die verschiedenen Plattenspieler ihre eigenen Interpretationen jenem Code hinzufügen?
Schildkröte: Ich bin nicht ganz sicher. Carl Krebs, verschwiegen wie er ist, erzählte mir nicht alle Einzelheiten. Aber ich bekam ein drittes Lied zu hören, als der Plattenspieler B-10 auf seinen Platz einschwenkte.
Achilles: Und wie ging dieses?
Schildkröte: Die Melodie bestand aus enorm großen Intervallen und lautete B-C-A-H.
Das Intervall-Muster in Halbtönen:
–10, +33, –10
Man kann aus dem CAGE-Muster durch eine weitere Multiplikation mit 3A und Abrundung auf ganze Zahlen gewinnen.
Achilles: Gibt es einen Namen für diese Art von Multiplikation von Intervallen?
Schildkröte: Man könnte sie „intervallische Augmentation“ nennen. Sie ist ähnlich dem kanonischen Hilfsmittel der zeitlichen Augmentation, bei der die Länge der Noten in einer Melodie mit derselben Konstante multipliziert wird. Doch das hat lediglich die Auswirkung, daß die Melodie verlangsamt wird. Hier aber ist die Wirkung die, daß der Bereich der Melodie auf merkwürdige Weise erweitert wird.
Achilles: Erstaunlich. So waren also alle drei Melodien intervallische Augmentationen eines einzigen zugrunde liegenden Rillenmusters auf der Platte.
Schildkröte: Das habe ich daraus geschlossen.
Achilles: Ich finde es merkwürdig, daß man CAGE erhält, wenn man BACH augmentiert, und wenn man CAGE noch einmal augmentiert, zu BACH zurückkehrt, nur daß er in seinem Inneren durcheinandergebracht ist, als hätte BACH nach dem Passieren des Zwischenstadiums von CAGE Bauchweh.
Schildkröte: Das scheint mir ein scharfsinniger Kommentar zu Cages neuer Kunstform.
KAPITEL VI
Wo die Bedeutung sitzt
Wann ist ein Ding nicht immer das Gleiche?
I M LETZTEN K APITEL stießen wir auf die Frage: „Wann sind zwei Dinge einander gleich?“ In diesem Kapitel befassen wir uns mit der Kehrseite jener Frage: „Wann ist ein Ding nicht immer sich selbst gleich?“ Das Problem, das wir angehen, lautet: Läßt sich sagen, daß einer Botschaft Bedeutung inhärent ist, oder kommt die Bedeutung immer durch die Wechselwirkung eines Gehirns oder eines Mechanismus mit einer Botschaft zustande, wie im vorhergehenden Dialog? Im letzteren Fall könnte man nicht sagen, daß eine Botschaft eine universelle oder objektive Bedeutung habe, da jeder Beobachter seine eigene Bedeutung jeder Botschaft zufügen könnte. Aber im ersteren Fall hätte die Bedeutung sowohl einen Platz als auch Universalität. In diesem Kapitel will ich die Gründe für die Universalität zumindest gewisser Botschaften darlegen, ohne sie — wohl verstanden — für alle Botschaften in Anspruch zu nehmen. Die Vorstellung einer „objektiven Bedeutung“ einer Botschaft wird, in interessanter Weise, in Beziehung gesetzt werden zu der Einfachheit, mit der Intelligenz beschrieben werden kann.
Informationsträger und Informationsenthüller
Ich beginne mit meinem Lieblingsspiel: der Beziehung zwischen Platten, Musik und Plattenspieler. Wir finden die Vorstellung einleuchtend, daß eine Platte die gleiche Information enthält wie ein Musikstück, weil es ja Plattenspieler gibt, die die Platte „lesen“ und das Rillenmuster in Töne verwandeln können. In andern Worten: zwischen Rillenmustern und Tönen herrscht eine Isomorphie, und der Plattenspieler ist der Mechanismus,
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