Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
der die Isomorphie physikalisch realisiert. Es ist also ganz natürlich, die Platte als Informationsträger und den Plattenspieler als Informationsenthüller aufzufassen. Ein weiteres Beispiel für solche Begriffe ist das pg-System. Hier sind die „Informationsträger“ die S ÄTZE , und der „Informationsenthüller“ ist die Interpretation, die so leicht zu durchschauen ist, daß wir keiner elektrischen Maschinen bedürfen, um mit ihrer Hilfe die Information aus den pg-S ÄTZEN zu gewinnen.
Diese beiden Beispiele erwecken den Eindruck, daß Isomorphie und Decodierungsmechanismus (d. h. Informationsenthüller) ganz einfach Information enthüllen, die den Strukturen innewohnt und darauf wartet, „herausgezogen“ zu werden. Das führt zu der Vorstellung, daß es für jede Struktur gewisse Informationsstücke gibt, die herausgezogen werden können, und solche, bei denen das nicht der Fall ist. Was aberbedeutet „herausziehen“ eigentlich? Wie fest darf man ziehen? Es gibt Fälle, in denen man sehr tief verborgene Informationen aus gewissen Strukturen herausziehen kann, wenn man sich nur genügend anstrengt. Tatsächlich kann das Herausziehen so komplizierte Operationen mit sich bringen, daß man das Gefühl hat, mehr Information zu investieren, als man dann herauszieht.
Genotyp und Phänotyp
Nehmen wir den Fall der genetischen Information, von der man allgemein annimmt, sie sitze in der Doppelhelix der Desoxyribonukleinsäure (DNS). Ein Molekül der DNS — ein Genotyp — wird durch einen sehr komplizierten Vorgang — der die Herstellung von Proteinen, die Replikation der DNS, die Replikation der Zellen, die allmähliche Differenzierung der Zelltypen usw. umfaßt — in einen Organismus — einen Phänotyp verwandelt. Übrigens ist dieses Abrollen des Phänotyps vom Genotyp — die Epigenese, die verwickeltste aller verwickelten Rekursionen, und in Kapitel XVI werden wir ihr unsere ganze Aufmerksamkeit schenken. Die Epigenese wird durch eine Anzahl äußerst komplizierter Zyklen von chemischen Reaktionen und Rückkopplungs-Schleifen gelenkt. Wenn dann einmal der ganze Organismus konstruiert worden ist, besteht zwischen den physischen Merkmalen und seinem Genotyp auch nicht die entfernteste Ähnlichkeit mehr.
Und doch wird die physische Struktur des Organismus ganz allgemein seiner DNS, und nur ihr, zugeschrieben. Die ersten Daten, die diese Anschauung stützten, resultierten aus Experimenten, die Oswald Avery 1944 durchführte, und seither hat sich überwältigendes zusätzliches Beweismaterial angehäuft. Averys Experimente zeigten, daß von allen biologische Molekülen nur die DNS erbliche Eigenschaften transmittiert. Man kann andere Moleküle in einem Organismus, z. B. Proteine, modifizieren, aber derartige Modifikationen werden nicht an die folgende Generation transmittiert. Wenn jedoch die DNS modifiziert wird, erben alle kommenden Generationen diese modifizierte DNS. Solche Experimente zeigen, daß die einzige Methode, die Instruktionen für den Bau eines neuen Organismus zu verändern, die Veränderung der DNS ist — und das wiederum läßt erkennen, daß diese Instruktionen irgendwie in die Struktur der DNS hineincodiert ist.
Exotische und prosaische Isomorphie
Deshalb wird man wohl die Vorstellung akzeptieren müssen, daß die Struktur der DNS die Information über die Struktur des Phänotyps enthält, was bedeutet, daß die zwei isomorph sind. Doch ist die Isomorphie exotisch, womit ich sagen will, daß die Aufteilung des Phänotyps und des Genotyps in „Teile“, die aufeinander abgebildet werden können, keineswegs eine triviale Angelegenheit ist. Dagegen sind prosaische Isomorphien solche, bei denen Teile der einen Struktur leicht auf Teile der anderen abgebildet werden können. Ein Beispiel ist die Isomorphie zwischen einer Platte und einemMusikstück, bei der wir wissen, daß es für jeden Ton des Stücks ein genaues „Abbild“ in den eingeritzten Rillenmustern gibt, und man könnte sie mit beliebiger Genauigkeit lokalisieren, sollte das notwendig sein. Eine andere prosaische Isomorphie ist die zwischen Gplot und jedem der Schmetterlinge in seinem Inneren.
Die Isomorphie zwischen der DNS-Struktur und der des Phänotyps ist alles andere als prosaisch, und der Mechanismus, der sie physisch ausführt, ist von furchterregender Kompliziertheit. Wollte jemand z. B. das Stück seiner DNS finden, das für die Form seiner Nase oder für seine Fingerabdrücke verantwortlich ist, wäre das
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