Göring: Eine Karriere (German Edition)
Regierung Hitler diktatorische Vollmachten übertrug. Sie konnte von nun an Gesetze allein beschließen, ohne Zustimmung des Parlaments – ein Blankoscheck für ungezügelte Alleinherrschaft. Einzig die SPD-Fraktion unter ihrem Führer Otto Wels stimmte dagegen. Unbeeindruckt von den bewaffneten SA- und SS-Wachen, die zur Einschüchterung im Saal aufgezogen waren, hielt Wels eine mutige Rede, die zum Schwanengesang der Weimarer Republik wurde: »Wir grüßen die Verfolgten und Bedrängten. Wir grüßen unsere Freunde im Reich. Ihre Standhaftigkeit und Treue verdienen Bewunderung. Ihr Bekennermut, ihre ungebrochene Zuversicht verbürgen eine hellere Zukunft.« Das Reichstagsprotokoll vermerkte »wiederholten lebhaften Beifall bei den Sozialdemokraten« und »Lachen bei den Nationalsozialisten«. Die Weimarer Verfassung war nur noch ein Papier.
»Weimar ist endgültig überwunden«: Mit einem Fernglas beobachtet Präsident Göring am 23. März 1933 im Reichstag die »unbotmäßige« SPD-Fraktion
Oben: »Die Linken waren vorher fertig«: Den Reichstagsbrand nutzte Göring als Vorwand für die Verhaftung zahlreicher politischer Gegner
Unten: »Missliebige Elemente«: Wie hier in München gehörten Juden zu den ersten Opfern der neuen Machthaber. Ein jüdischer Anwalt wird von SA-Leuten durch die Innenstadt getrieben und verspottet
Ich möchte keinen Zweifel darüber lassen. Ich habe erst angefangen zu säubern. Es ist noch längst nicht fertig.
Göring, 10. März 1933
Unterdessen tobten sich auf den Straßen die von Göring zu Hilfspolizisten ernannten SA- und SS-Männer aus. In leer stehenden Lagerhallen, alten Feldscheunen, in Hinterzimmern, Lokalen und Kasernen errichteten sie provisorische Lager, in denen Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Juden und alle anderen, die der SA als »missliebige Elemente« galten, eingesperrt wurden. Allein in Berlin entstanden mehr als 150 Haftstätten, in denen SA und SS ihre Opfer ungestört verhören und quälen konnten. Die größte und berüchtigtste Folterkammer der SA in Berlin befand sich im Keller der General-Pape-Kaserne am Werner-Voß-Damm, in der die SA-Feld-polizei Berlin-Brandenburg stationiert war. Zeitgleich waren hier mehrere hundert Häftlinge eingesperrt, Männer und Frauen, in erdrückender Enge. Viele von ihnen wurden mitten in der Nacht aus ihren Wohnungen geholt und auf offene LKWs verfrachtet. Nach der Fahrt durch die Dunkelheit kamen sie zu einem freien Platz auf dem Kasernengelände, der mit Scheinwerfern taghell ausgeleuchtet war. Mit Gummiknüppeln und Gewehrkolben wurden die Gefangenen vom Wagen gestoßen und unter Flüchen und Drohungen in den Keller getrieben. Hier begann der Spießrutenlauf. Unter lautem Gejohle der SA-Männer mussten die Gefangenen in dem Kellergang hin- und herrennen, wobei ihre Peiniger mit Koppeln, Knüppeln und schweren Stiefeln auf sie eindroschen und -traten. Unter einem der niedrigeren Deckenbalken hatten die braunen Sadisten eine Holzbank aufgestellt, die die Gefangenen überspringen mussten, wobei sie sich den Kopf anstießen. Anschließend folgte für viele das »Verhör« in der so genannten »Turnhalle« des Kellers. Ihren Namen verdankte sie zwei Böcken, auf die Häftlinge mit freiem Operkörper festgebunden wurden. Ein Gefangener erinnert sich: »Deine Glieder werden mit Lederriemen an die Beine des einen Bocks geschnallt. Die Verhörskala ist nach Windstärken eingeteilt. Begonnen wird mit Windstärke fünf. Nach Sturm kann sich keiner mehr auf den Beinen halten. Orkan bedeutet das Ende.«
Noch heute sind an den Mauern des Folterkellers Spuren der Taten sichtbar: grob in die Wand geritzte Hakenkreuze, die offenkundig von gelangweilten SA-Wachen stammen. Eines gibt die Einheit des Schmierfinken an: »F. J. K. III. B.«: Feldjägerkorps, 3. Bataillon. Nicht weit davon ist das Profil eines jüdischen Häftlings an die Wand gekritzelt. Vermutlich drückten SA-Leute seinen Kopf an die Mauer und zeichneten ihn mit übertriebener Haartolle und spitzer Nase nach. Am Ende ihres groben Spaßes zwangen sie ihr Opfer, die Zeichnung mit seinem Namen in Deutsch und Hebräisch zu signieren: »David Moses Wiener-Trisker. 15. Juni 1933«. Nur wenig ist über die Opfer bekannt. Eines von ihnen war Leo Krell, dessen Schicksal auf einem zufällig erhaltenen Krankenblatt dokumentiert wird. Am 17. März 1933 nahm der SA-Sturm 27 den Sechsundzwanzigjährigen in Berlin fest. Die braunen Schergen brachten
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